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besucht und ihm eine Erklärung zur Unterschrift vorgelegt, wonach er, nach Vorbezug seines Anteils von 200.000 Franken, auf jeden weiteren Anspruch auf das elterliche Erbe verzichte. Vater gab zu verstehen, daß er seiner Familie diese Maßregel schuldig sei. Als Hubert unterschrieben hatte, drückte ihm der Vater noch einen Umschlag mit zehn Tausendernoten in die Hand. Dafür brauche er keine Quittung. Die Trennung war vollzogen, und für Hubert stimmte sie. Vor dem Tod des Vaters sah er ihn nur noch einmal, als er, schon krank, zum ersten Mal die Universität betrat, bei einer Kundgebung gegen Studiengebühren. Er wollte seinen Sohn, der im Leitungsausschuß von «Rotrecht» tätig war, einmal öffentlich reden hören. Aber er redete dann gar nicht. Dafür sprach ihn der Vater vor dem Hörsaal an, und sie tranken in der Unibar Kaffee zusammen. Jetzt bist du also ein Linker geworden, sagte er, deine Mutter hat auch immer Sozialisten gewählt, und sie sind doch nie in den Stadtrat gekommen. Aber wenigstens glaubst du jetzt an etwas, das hätte sie gefreut. Der Vater war ein Verehrer von Johannes XXIII. Er hatte sich auch über Arbeiterpriester kundig gemacht und die Befreiungstheologie. Was hast du jetzt vor, machst du ein Anwaltsbüro auf? Mit zwei Kollegen vielleicht. Einer stammte auf der Mutterseite von Rabbinern ab und hatte in Nicaragua gekämpft; der andere war Sohn eines Privatbankiers. Unter Linken habe es auch früher schon feine Leute gegeben, meinte der Vater, er habe gelesen, Karl Marx sei sogar mit einer Gräfin verheiratet gewesen. Plötzlich fiel ihm ein,daß er auch hätte fragen können, wie sich die Freunde kennengelernt hatten, und so fragte er es denn.
Wir sind alle drei ohne Mutter aufgewachsen, war alles, was Hubert antwortete. Der Vater verabschiedete sich bald, und wie sich zeigte, für immer. Er hatte ihm nur die Wahrheit gesagt, lange bevor er sie selbst verstanden hatte.
Kennengelernt hatten sie sich, Moritz Asser, Jacques Schinz, beide einundzwanzig, und der zwei Jahre ältere Hubert Achermann, im Sommer 1965 durch einen Anschlag am Schwarzen Brett im juristischen Seminar. Moritz suchte Mitfahrer nach Griechenland – zuerst suchte er ein Fahrzeug. Jacques fuhr einen kleinen grünen Fiat und hatte sich gemeldet, weil er eine griechische Bekannte aus seiner Pariser Zeit wiedersehen wollte, Hubert eigentlich nur, weil er noch nie in Griechenland gewesen war. Politisch aktiv war damals erst Moritz, der in Athen an einem Treffen der Lambrakis-Jugend zur Vertei digung der Demokratie gegen den drohenden Militärputsch teilnehmen wollte. Auf dem Syntagma-Platz wurden sie in Straßenkämpfe verwickelt. Eine Polizei, die als Partei auftrat, knüppelte die Demonstranten nieder; Jacques wurde mit Verdacht auf Schädelbruch, der sich glücklicherweise nicht bestätigte, ins Krankenhaus geschafft. Aber die Keule hatte auch ihn das Licht politischen Ernstes sehen lassen. Er verzichtete sogar auf den Besuch seiner Freundin.
Doch war Griechenland für die drei jungen Männer mehr gewesen als eine Straßenschlacht. In Arkadien hatten sie ein Camp der Lambrakis-Jugend besucht, welche Leitungen für Wasser und Strom in ein armes Bergdorf legte, und in Delphi mit einer Aktivistengruppe den Widerstand gegen ein Aluminiumwerk besprochen, dessen Ausstoß die klassischen Stätten bedroht hätte. Doch diese kamen auch zweckfrei zu ihrem Recht. Das Wort «Augenschein» nahm eine ganz neue Bedeutung an, als sie noch bei Nacht zum Kap Sunion hinausfuhren und in die Sonne blickten, die ihnen durch die Säulen des Poseidon-Heiligtums aufging. Im altenDionysostheater am Südfuß der Akropolis sahen sie «Philoktet» von Sophokles. Das Stück wurde in klassischen Masken aufgeführt, die als Schalltrichter wirkten. Wie Vogelstimmen gellte es in die Arena hinaus und hallte von der Bergwand zurück. Die Figuren bewegten sich wenig und waren kaum zu unterscheiden; so kam alles auf die Sprache an, und sie verstanden kein Wort. Mit Schulgriechisch hatte es nichts zu tun. Dennoch hielt Hubert einen Text auf den Knien, den er im Goethe-Institut ausgeliehen hatte. Am nächsten Abend, ihrem letzten in Athen, waren sie lange nach Mitternacht immer noch beim Trinken. Sie hatten mit dem Wirt politisiert; als er die Taverne schloß, hatte er sie weiter beim Retsina sitzen lassen. «Philoktet» gab zu reden.
Du schweigst immer, Hupp, sagte Moritz. – Du sagst, das Stück habe dir die Priesterweihe verdorben. Sag uns noch etwas
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