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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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man braucht?
    Durch Probieren, mein Freund. Durch Versuch, und wenn’s ein Irrtum war: durch den nächsten Versuch.
    Zum Versuch gehört die Versuchung, sagte Achermann.
    Ganz der Vater, sagte sie, der wollte auch in der Ordnung sein. Ist es in Ordnung, wenn seine Frau ihn verläßt? Was schuldet er dieserPerson? Jetzt braucht er eine richtige Ehe, und wenn er dafür den Glauben wechseln muß. Könnten Sie das?
    Ich kann es verstehen.
    Er wird reformiert, verstehen Sie das auch?
    Fragen Sie den Mönch oder den Wüstling?
    Ich frage Sie.
    Um meinen Glauben zu wechseln, müßte ich des Glaubens an mich selbst sicher sein. Darum ist es eine akademische Frage.
    Glauben Sie, sagte sie mit hörbarem Spott. – Sie gefallen mir, Hubert Achermann. Aber nun stellen Sie sich vor: Sie haben einen reformierten Vater, und er hat Sie durchaus nicht akademisch gezeugt. Es hält große Stücke auf Sie, wie es scheint. Sie sind begabt, er läßt sich Ihre Ausbildung mehr kosten, als er hat. Er gibt Ihnen jede Chance, sich zu legitimieren, aus eigener Kraft, und Sie packen es auch, oder etwa nicht? Sie werden ein Humanist, der fünf lebende Sprachen beherrscht und sich in zwei toten fließend ausdrücken kann. Sie sind
Master of Arts
, Obrist, Herr der größten Mitgift der freien Niederlande, glückliches Familienoberhaupt. Hat Ihr Vater nicht recht getan, als er Sie zu seinem Nachfolger bestimmte? Nun stirbt er, mit einem Testament, in dem er versucht, es allen recht zu machen, die zweite Familie nicht nur zu begünstigen, die erste nicht nur zu enterben, und an Sie kommt es nun, dieses Testament zu vollstrecken. Natürlich haben es die Halbgeschwister angefochten. Natürlich kämpfen sie nicht mit Paragraphen, sondern mit Klauen und Zähnen, noch lieber mit ihrem rechten Glauben. Denn natürlich haben Ihre älteren Geschwister immer sich selbst als legitim betrachtet und Sie als unehelich. Zwar gibt es gar nicht viel zu verteilen, ein paar Weiler im oberen Rheintal, eine Handvoll Bauern, die jedes zweite Jahr die Konfession wechseln und ihr Kirchlein umrüsten mußten, je nachdem, welcher Herr gerade im Land war. Aber wo Schmalhans Küchenmeister ist, da gedeihen Habgier und Brotneid erst recht; gleich werden sich die Erben zerfleischen. Doch nun kommen Sie, ein wahrhaft groß gewordener Herr, kommen heim, veranstalten ein Maiengerichtund verkünden Ihren weisen Ratschluß … Was verkünden Sie denn, Hubert?
    Moritz saß schon eine ganze Weile wieder am Tisch und folgte Sidonies Vorstellung mit Vergnügen, auch wenn sie zum Verhör geworden war. Hubert war weit entfernt, etwas zu verkünden; er wußte nichts mehr zu sagen, und an seiner Unkenntnis feudaler Rechtsverhältnisse lag es nicht.
    Wären wir im 20. Jahrhundert, sagte Moritz, würde ich an Philipps Stelle auf eine Erbschaft verzichten, die mir nur Scherereien bringt. Ich würde Adrianas Millionen in die Emser Werke investieren und eine Zukunftsindustrie daraus machen. Aus dem Ertrag könnte ich mir dann ein würdigeres Schloß kaufen. Sax ist gerade gut für eine Strafanstalt.
    Eine solche existierte wirklich auf dem ehemals freiherrlichen Gelände, mit offenem Vollzug. Auch Freunde von «Rotrecht» saßen ihre Strafe als Wehrdienstverweigerer im Saxerriet ab. Achermann, Asser & Schinz waren gnädiger weggekommen – Hubert als werdender Geistlicher, Moritz mit einem psychiatrischen Gutachten, und Jacques hatte einen Herzfehler. Die Emser Werke aber waren kriegswichtig gewesen, für Holzverzuckerung und die Gewinnung von Treibstoffersatz.
    Nur habe ich nicht dich gefragt, sondern Hubert, stellte Sidonie fest. – Nein, Philipp von Sax war kein guter Geschäftsmann. Er hat nur in seinen Tod investiert. Erst wollte er gar nicht hingehen, zur Testamentsverkündung am Maiengericht. Seine Frau hatte geboren; er hätte sich gern hinter Gastgeberpflichten für die Taufpaten versteckt. Hätte er es getan, er wäre noch am Leben. Aber er war nicht mutig genug, zu seiner Angst zu stehen. Oder zu seinem Geiz, denn das Maiengericht war auch ein Schützenfest, und dabei mußte ein Landesherr etwas springen lassen. Wenn er nicht da war, würde ihm irgendwer irgendwas nachsagen, also war er doch besser da, bei den Leuten. Also ging er hin. Setzte sich zu seinen Halbgeschwistern, den Todfeinden, stieß auf den erreichten Frieden an und zahlte auch dem übelsten seiner Halbneffen noch das Schießgeldaus der eigenen Tasche. Dann ließ er sich von ihm so lange provozieren, bis er

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