Sax
begleitete es händeklatschend. Beim letzten Akkord lag Sidonie mit Hohlkreuz, ein Bein in die Luft geknickt und den Kopf in den Nacken geworfen, als triumphierende Beute in Achermanns Armen. Er hatte sich, zur Stütze ihres Rückens, so weit vorbeugen müssen, daß sich fast ihre Lippen berührten. Als sich Sidonie wieder aufgerichtet hatte, verbeugte sie sich vor dem Publikum und er vor ihr. Sie nahm seine Hand und führte ihn an einen Tisch, wo sie Moritz mit Champagner erwartete. Sidonie war jetzt auffallend redselig. Sie kam auf ihre Rolle zurück: Philipp von Hohensax.
Sie haben ihn studiert, sagte Moritz. – Wie studieren Sie eine Figur des 16. Jahrhunderts?
Er habe als frühreifer Gelehrter angefangen. Für einen jungen Strauchritter allerhand, was er an Theologie, Philosophie, Altphilologie eingesaugt hatte, in St. Gallen, Münsterburg, Lausanne und Genf. In Paris, wo er ausstehende Pensionen seines Vaters einzutreiben versuchte, sei er der Bartholomäusnacht nur knapp entgangen.Auf nach Oxford, wo er sich einen
Master of Arts
besorgt habe, und nun begann sich sein
networking
zu lohnen. Er ging nach Heidelberg, wo ein Genfer Kommilitone Pfalzgraf geworden war und die Universität reformierte, und brachte es bis zum Gesandten an den Reichstag zu Regensburg. Doch als sein Gönner starb, trieb ihn der lutherische Nachfolger ins Exil, und er schloß sich Johann Moritz von Nassau an, den er auch schon in Genf kennengelernt hatte, zur Befreiung der Niederlande. Der Humanist erwarb sich als Obrist einen solchen Ruf, daß er die reiche Adriana von Brederode zur Frau bekam und Königin Elisabeth von England ihren Günstling Leicester zur Hochzeit nach Utrecht entsandte. Sax wurde Gouverneur von Geldern, wo er einen Bildersturm veranstaltete und die Mönche des Karmeliterklosters in die reformierte Predigt zwang. Einer verehrten Landesmutter legte er einen verurteilten Verbrecher ins Grab und goß katholische Geläute zu reformierten Kanonen um. Gnadenlos bestrafte er die kleinste Übertretung seiner Soldaten mit dem Tode, plünderte aber für sich selbst ungeniert die ganze Klosterbibliothek und ließ ihren größten Schatz mitlaufen, die Manessische Liederhandschrift. Darin fand er gleich zwei eigene Vorfahren, und Sidonie zitierte: «Sie hat mich so fest angebunden, daß ich ganz nach ihrem Willen leben muß.» Hoffentlich war die Jungfrau Maria gemeint, denn Minnesänger Eberhard von Sax war ein Mönch. Als Philipp seinen Abschied nahm, wollte er diese Handschrift in seine Stammlande heimführen, mitsamt seiner Adriana, doch unterwegs blieb er in der Pfalz hängen, die wieder reformiert worden war, und der neue Landesherr schickte ihn als Vogt in das Städtchen Mosbach im Odenwald. Da gebar ihm die Adriana einen Stammhalter, und vier reformierte Städte der Eidgenossenschaft standen ihm zu Gevatter.
Was interessiert Sie an dem Herrn? fragte Moritz.
Sein Glück. Und er machte nichts daraus. Das darf einem Menschen nicht passieren. Sonst stirbt er daran – und nicht einmal das schafft er richtig.
Als sich Moritz kurz entschuldigte, sagte Sidonie zu Achermann: Ich langweile Sie.
Oh, nein. Sie lehren mich das Gruseln.
Sie musterte ihn. – Wissen Sie, woran Philipp gestorben ist? An halben Sachen.
Sie meinen, er hätte nicht heimkommen sollen.
Doch, aber wie ein Mann. Sie sind Jurist, Hubert Achermann. Nehmen wir an: Sie sind der zweite Sohn aus der zweiten Ehe Ihres Vaters. Kirchlich ist diese Ehe ungültig, Ihre Mutter eine Konkubine. Aber die erste Frau ist Ihrem Vater durchgebrannt und hat ihn mit fünf Kindern sitzenlassen. Er braucht wieder eine Frau, schon wegen der Kinder. Nur: Solange die erste noch lebt, darf er nicht wieder heiraten, sagt er alte Glaube. Was tut er?
Er heiratet nicht mehr, sagte Hubert.
Aber dann wären Sie gar nicht da, mein Lieber.
Ich dachte, Kinder gibt es auch ohne Heirat.
Sind Sie ein Wüstling oder ein Mönch?
Nur katholisch, lächelte er.
Also ein bißchen von beidem, sagte sie. – Ganz der Vater. Aber Ihr Vater hat Pech. Die Frau, die er haben will, ist streng. Ohne Heirat geht bei ihr nichts. Was tut er nun?
Er läßt sie, sagte Hubert.
Oder nimmt sie trotzdem, sagte Sidonie. – Wenn er ein Mann ist. Und dann werden Sie ein Bastard und müssen für die Richtigkeit Ihrer Existenz kämpfen. Können Sie das?
Das kommt auf die Umstände an.
Sagt der Jurist. Wenn Sie ein Mann sind, holen Sie sich, was Sie brauchen, rechtmäßig oder nicht.
Woher weiß man, was
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