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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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schuldig, daß ich zu kurz gekommen sei. Aber das bin ich gar nicht. Es ist schön, daß du so stark bist, sagte mein Vater.Stark bin ich auch nicht, ich wüßte gar nicht, wozu. Ich merke meist, wenn etwas nicht stimmt, es muß darum nicht unwahr sein. Nur merke ich es zu langsam, und früher habe ich mich dann auch nicht getraut, es zu sagen, aus Angst, jemandem weh zu tun. Ich habe schon nach drei Tagen bemerkt: Der Priesterberuf stimmt nicht für mich. Und jetzt getraue ich mich, es zu sagen.
    Ich glaube, was Ihnen gefehlt hat, ist Liebe. Könnte es sein, daß Sie sich nicht einmal trauen, sie zu vermissen? Daß Sie sogar ein wenig stolz darauf sind, daß man Ihnen nicht anmerkt, was Ihnen fehlt? Sie haben einen ganz eigenen Hochmut.
    Das mag wohl sein, Eminenz. Ich habe im Seminar viel Überzeugendes gehört, aber von mir selbst bin ich nicht überzeugt. Ich traue meinem Glauben nicht. Darum darf ich kein Gelübde ablegen.
    Anfangs hatte ich das Gefühl, daß Sie für das Priesteramt wie geschaffen seien.
    Im Kopf, Eminenz, aber mein Kopf weiß nicht alles über mich.
    Diese Einsicht ist die Grundlage des Glaubens.
    Nur daß ich ihn vom Unglauben immer weniger unterscheiden kann, und das stört mich nicht einmal.
    Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben, lächelte der Bischof.
    Ich glaube, Hilfe ist etwas, was ich nicht vertragen kann, und Helfer noch weniger.
    Das eben ist Ihr Hochmut, mein Freund, sagte der Bischof. – Gut, dann soll Ihnen nicht zu helfen sein. Und wohin gehen Sie jetzt?
    Ich weiß erst, daß ich gehen möchte, sagte Hubert, weiter noch nicht.
    Hätte er von Erich sprechen sollen?
    Erich war sein Zimmergenosse, der Sohn eines Bahnmeisters, ein Lockenkopf mit Blatternarben. Der hatte ihn zum Vertrauten seiner Mühsal mit dem zölibatären Leben gemacht. Er artikulierte seine Probleme mit großer geistlicher Sorgfalt. Am Ende triebensie ihm Wasser in die Augen. Seine Rührung über sich selbst konnte grenzenlos sein. Dabei unterzog er sich freiwillig strengen asketischen Übungen. Hubert hatte den Eindruck, daß er die Denkverbote, unter denen er litt, zugleich nährte wie ein Forscher seine Bakterien. Zugleich gefiel er sich in den Gewändern, die seine geistliche Mutter in einem Atelier der Innerschweiz für ihn weben ließ. Er trug sie voller Andacht für die eigene Prächtigkeit. Hubert fiel es immer schwerer, sich Erichs Anfechtungen in Geduld anzuhören. Das Fleisch, an dem er litt, roch unappetitlich; zugleich nahm es etwas Onduliertes an, wie seine Locken, mit denen er sich ausgiebig beschäftigte.
    Erich hatte Hubert die Berufung zum Priesteramt als Stilfrage bewußtgemacht. Die Physiognomie vieler Priesterschüler war derjenigen Erichs zu ähnlich. Das war die Armut nicht, die er lieben konnte. Verzweifelt war er nicht, nur verstummt, als er sich zum zweiten Mal auf die Ufermauer vor dem Kloster setzte, diesmal allein.
    Spontan entschloß er sich, an der Pforte zu läuten. Franz von Assisi hatte ihm schon mit neun Jahren das Leben gerettet. Nun meldete er sich bei seinen Brüdern als Flüchtling vor dem Priesteramt.
    Anfangs hielt er ihnen das Unverständnis zugute, mit dem sie diesem Wechsel begegneten. Sie gaben sich Mühe, ihm das Tragen einer Kutte schmackhaft zu machen. In den ersten Klosterwochen genoß er die Disziplin des Stundengebets und die Wohltat der Entfernung von jeder Theologie. Soweit war alles richtig.
    Woran fehlte es, daß er, wieder zwei Jahre später, auch das Kloster wieder verließ, fluchtartig diesmal, und für immer Abschied nahm vom geistlichen Leben? Er hatte nie, wie Erich, Schwierigkeiten damit gehabt. Es war ihm nur, und im Kloster unabweislich, aufgegangen, daß er nie ein solches geführt hatte. Und bei den Kapuzinern war nicht einmal mehr sein Kopf dabeigewesen, der sich nach einer ernstzunehmenden Arbeit sehnte. Was er wollte, wußte er weniger denn je, aber was er nicht wollte, war deutlich wie noch nie.
    Der Bischof hatte ihn mit Christophorus verglichen, der jeden Herrn abschütteln muß, den er bei der Furcht vor einem größeren Herrn ertappt. Immer wieder begibt er sich jeweils in den Dienst dieses größeren, bis nur noch der kleinste seine Überkraft beugen kann, das Kind Jesus auf seiner Schulter. Sein Gewicht drückt ihn unter Wasser, und so wird er endlich getauft auf den wahren Herrn.
    Bevor er nach Belgien fuhr, hatte er seinen Vater um ein Darlehen gebeten: Er wolle Philosophie studieren. Der Vater hatte ihn in seinem möblierten Zimmer

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