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Sax

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Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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«Bachtel» und läutete den großen gemischten Chor ein, die Internationale, Credo und Sanctus einer verflossenen Arbeiterbewegung. Diese Welt soll unser sein! Und sie war es noch einmal, bis die Urne, in einem Kranz roter Rosen versteckt, die Oberfläche des Wassers berührte. Im Augenblick, als Hubert das unscheinbare Gefäß sinken ließ, begannen die Sirenen der «Bachtel» zu heulen und die Glocke der «Rahel» zu gellen. Die Belegschaft zog ihre roten Halstücher aus,um dem Sinkenden nachzuwinken. Nur noch der Rosenkranz schaukelte auf dem Wasser, heftiger als die Schiffe, denn im Westen hatte sich eine Wetterwand aufgebaut, aus der hie und da ein Blitz zuckte. Auf beiden Seeseiten hatten gelbe Warnsignale zu rotieren begonnen. Höchste Zeit, das Ufer zu erreichen, und so warf Hermann den Motor der «Rahel» an, und auch die «Bachtel» begann in weitem Bogen den rettenden Hafen anzulaufen. Einzelne sahen schon seekrank aus. Marybel versäumte trotzdem nicht, Jacques und Hubert auf das herrschaftliche Gut auf der Halbinsel hinzuweisen, das einmal der jungen Witwe Moser, geborene von Wart, als Magnet für Gesellschaften gebildeter Männer gedient hatte, während die Töchter Fanny und Mentona sehen mochten, wo sie blieben. Kreideweiß starrte das Gebäude durch Ufergehölz, Schaum krönte die Wellen, und als der sichere Hafen erreicht war, begann es zu gießen. Der Kranz mitten im See zerstob in Winden und Wellen, ebenso gewiß, wie Reinholds Krüglein seine Ruhe hatte; die Tiefe, in die es versunken war, blieb ungestört.
    Er brauchte nicht mehr zu erleben, daß das Gericht in Straßburg seine Klage abwies: Gott der Allmächtige in der Schweizer Bundesverfassung blieb rechtens, mangels Erheblichkeit für die Substanz des Gesetzeswerks. Den Nachrufen auf Dörig folgten abschließende Kommentare zu seinem Prozeß, einzelne würdigten seine Zivilcourage, bei allem Bedauern für die
peinture naïve
seines Rechtsverständnisses.
    Jacques und Hubert hatten sich am Abend nach Reinhold Dörigs definitiver Wasserung um neun Uhr abends unverabredet auf dem Dach getroffen, das noch regennaß war. Es dämmerte, aber der Himmel ließ einzelne Sterne hervortreten, das Gewitter hatte die Luft erfrischt, auch die Pflanzungen Marybels getränkt. Sie selbst und Moritz waren mit der Belegschaft in Reinholds Fabrik weitergezogen, um ihn «auf befreitem Gelände» die ganze Nacht abzufeiern. Achermann und Schinz hatten sich entschuldigt. Sie wußten natürlich als Juristen nichts von dem Kommandounternehmen, dasam Ende des Festes geplant war. Reinhold hatte die «Rahel» den Arbeitern geschenkt. Vier von ihnen fuhren sie vor Tagesanbruch in die Seemitte, um sie zu versenken, nicht ohne Treibstoff und Öl herausgepumpt und in den Nachen geladen zu haben, mit dem sie zurückfuhren.
    Man möchte wissen, was er jetzt weiß, sagte Jacques. – Er könnte ein Zeichen geben.
    Dazu haben sich schon manche verabredet, sagte Hubert.
    Im Ernst. Wenn es soweit ist, teile ich dir von drüben das Nötigste mit. Versprochen. Aber du mußt auf Empfang sein. Die Verbindungen sind schlecht. – Hupp, sagte er nach einer Weile. – Das Rätsel. Ich habe es Reinhold weggelöst. Von jetzt an löse ich es zu seinem Andenken, jeden Donnerstag, wenn die Zeitung kommt. Machst du mit?
    Man kann ein Rätsel nicht gut zu zweit lösen, sagte Hubert.
    Warum nicht? Um die Wette, jeder auf seinem Stübchen. Wir geben uns eine Stunde. Solange wir lösen, leben wir.
    Du gewinnst immer, lächelte Achermann.
    Sie waren mit ihren Deckstühlen vom Geißblatt weggerückt, denn in der Nacht verströmte es eine betäubende Süße. Jacques schenkte einen Whiskey nach, der in Eichenfässern Neuenglands gereift war, ein Geschenk Marybels aus ihrer Fliegerzeit.
    Sie tranken und sahen in die Sterne. Dann sagte Achermann:
    Ich habe die Vendetta gegen deinen Vater nie verstanden.
    Bist du mein Freund, Hupp?
    Was soll die Frage?
    Du könntest auch ein Priester sein. Dann dürfte ich beichten. – Und nach einer Weile fuhr er fort: Hochwürden, ich bin ein
motherfucker.
    Er hatte getrunken, wirkte aber nüchtern. Anfangs sprach er schnell und leise, ohne die Augen zu erheben. Am Ende waren sie naß.
    Ich habe eine rumänische Großmutter. Darum war meine Mutter griechisch-katholisch. Sie heiratete jung, einen Reformierten,auch wenn er in keine Kirche ging. Aber er war Banker und hatte ein Verhältnis zum Geld, das war reformiert – und damit ließ er seine Frau allein. Er hat

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