Sax
waschen, anziehen und mitkommen. Sie hatte ihn auf dem Dach, ehe er’s recht merkte. Und fragte: Was ist mit dem Tinnitus?
Ja, was war damit? Weg war er! Einfach verschwunden!
Hörst du die Linde summen?
Er öffnete den Mund, als ließe sich das Wunder anders nicht fassen.
Was hast du mit mir gemacht?
Ich habe einen Tip ausprobiert, das ist alles.
Es hätte Peter Leu gefallen, die Behandlung jeden Tag fortzusetzen, aber sie bestimmte: Du bist geheilt, Peter, und ich habe zu tun.
Sie konnte strenger sein als Dr. Freud. Peter Leu war kein Mohr, aber er hatte seinen Dienst getan. Eine leere Stelle in Marybels Welt hatte sich bevölkert, und jetzt widmete sie sich neuen Patienten. Aber was sie erfuhr, blieb in der Familie. Die Sternwarte blieb, für jedermanns Augen, verschlossen und bedeckt.
Im Juni ’72 war es soweit: Einer fuhr nicht mehr zur See.
Die «Rahel» war scheinbar führerlos in den Binsen vor Jungs Turm gestrandet; es war Samstag abend, die angebaute Villa von Sommergästen besetzt. Zwei Beherzte stiegen an Bord, fanden Dörig bewußtlos in der Kajüte und alarmierten die Rettung, die ihn mit dem Hubschrauber in die Notfallstation des Universitätsspitals flog. Seine Identität entnahm man den Schiffspapieren; Angehörige waren nicht bekannt, so benachrichtigte man die Stallwache der «Hygeia», und von da erweiterte sich der Kreis der Betroffenen rasch. Als Achermann am Sonntag nachmittag im Krankenhaus eintraf, war Reinhold wieder bei Bewußtsein, aber am Tropf und mit Sonden bestückt. Er erkannte Hubert nur mit den Augen; reden konnte oder wollte er nicht. Der gute Tod im Wasser war verpaßt.
Hubert kam jeden Tag; auch Vera, mit Blumen, für die sich kein Platz fand; nach Feierabend erschienen Kollegen der Belegschaft. Marybel aber hielt stundenlang Reinholds Hand. Das hippokratische Gesicht blieb verschlossen. Aber als er mit Hubert allein war, beschwerte er sich.
Kann man mich nicht lassen? fragte er, behindert an Mund und Nase. – Ich möchte verduften. Dafür brauche ich keine Maschinen und auch keine Damen.
Es traf sich, daß Frau Seiler zur gleichen Zeit im Krankenhaus war, ebenfalls ohne Aussicht, wieder herauszukommen, und nicht minder unwillig, sich immer noch Behandlungen gefallen zu lassen. Aber stumm zu leiden war nicht ihre Art. Jacques bekam etwas zu hören, doch der Grimm der Sterbenden behielt viel Aufgeräumtes. Sie beschwerte sich, «die Sache hier» dauere ihr reichlich lange. Wozu habe sie einen Anwalt, wenn er der Gewinnsucht der Medizin keinen Riegel schiebe? Was hier an sie, Frau Seiler, verschleudert werde, gehe am Ende nur der Stiftung ab.
Dagegen hatte Reinhold nur noch einen Wunsch: ein Einzelzimmer, betrieblich eine Zumutung. Achermann setzte sie durch. Für ihn galt das Besuchsverbot nicht; dafür wurde er zum Sitzwächter. Der Raum hatte kaum Seeblick, aber wenn der Wind die Parkbäume rührte, blitzte zwischen den Kronen eine Spur Wasser auf.
Plötzlich sagte Dörig: Ist morgen nicht Donnerstag? Bring mir doch das Rätsel.
Doch anderntags war der Patient nicht im Zimmer. Man hatte ihn zu einer Untersuchung gefahren, Achermann hätte dasein, sich wehren müssen, war aber gerade in keiner Verfassung dazu. Die Morgenpost hatte eine Anzeige mit einer handschriftlichen Mitteilung Sidonies gebracht. Am 17. Juni hatte sie einen Sohn geboren, er heiße Salomon. Und auf einem separaten Papier hatte sie zu melden, ihre Schwester Verena sei mit ihrem Sportwagen tödlich verunglückt. Unter diesen Umständen müsse sie mit ihm «bei Gelegenheit» über sein Mandat reden.
Da Reinhold nicht zurückkam, war Achermann ins Büro gefahren und hatte die Frauen-WG angerufen. Ob er Mutter und Kind besuchen könne? Er hörte, wie sich die junge Frau mit zugedeckter Sprechmuschel Instruktionen holte. Das Resultat: morgen nachmittag um vier Uhr. Als er am nächsten Morgen im Spital auftauchte, war Reinholds Zimmer leer. Man kämpfe in der Intensivstation um sein Leben; kein Besuch jetzt. Aber hier lag ja das Rätsel auf dem Nachttisch? Daran habe er gearbeitet, als er das Bewußtsein verlor.
Er wollte nicht auf der Intensivstation sterben! Er wollte Bäume sehen und ein kleines Stück Wasser! Bringen Sie ihn her, oder ich verklage Sie! Ich bin Jurist!
Ich weiß, Herr Dr. Achermann, sagte der Arzt, und ich schlage vor, Sie gehen jetzt in die Cafeteria, essen etwas und kommen in zwei Stunden wieder. Wir tun, was wir können.
Das Kreuzworträtsel war etwa zu einem Viertel mit
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