Sax
sie geliebt, fürchte ich, aber er hat nichts von ihr verstanden,
nichts
. Es kam ihm nie in den Sinn, daß er sie krank machte – nicht durch etwas, was er sagte oder tat. Durch die Art, wie er war. So ist er immer noch. Was er für Zuwendung hält, ist tödlich. Seine Aufmerksamkeit trampelt, seine Güte schwitzt, sein Witz schreit zum Himmel, sein Elend manchmal auch – und immer zu laut. So war er, so ist er, so bleibt er. Meine Mutter war lange zu unschuldig,
sein
Elend zu verstehen. Und dann war sie zu fein, ihn
ihr
Elend merken zu lassen. Ihre Krankheit
beleidigte
ihn, Hupp. Wie durfte die Frau an seiner Seite krank werden? Aber sie war nie an seiner Seite. Sie hing im Leeren. Sie vertrocknete an seiner Luft. Und als sie anfing zu welken, delegierte er sie an die Medizin. Und eines Tages konnte sie ihm auch mit ihrer Krankheit nicht mehr dienen. Das wurde der Tag, an dem sie mich geboren hat, zum zweiten Mal.
Ich war erst fünf Jahre alt. Schon fünf. Ein kleiner Mann. Ein dummer Bub. Ein einziges Häufchen Angst um meine Mutter. Aber ich nannte sie wie mein Vater, Chantal. Ihn habe ich nie Thomas genannt, auch nicht Vater. Papa. Oder lieber gar nicht. Aber
Chantal
.
Ich wußte es ja, spürte es jeden Augenblick. Sie war Haut und Knochen, gerade noch da. Aber das Gesicht wurde immer edler, ein Bild von einem Gesicht. Nicht eingefallen, nur blaß, sogar der Mund, den sie nie geschminkt hat. Ganz weich, wehrlos. Weich und voll auch das Haar, weil sie die Chemo verweigert hat. Flache Wangen, große Augen, die feine Nase, durch die sie immer mühsamer atmete. Wir hatten einen großen Garten mit einem gepflegten Teil und einem wilden, der reichte bis in den Wald. Am Waldrand lag ein Weiher, den niemand mehr gepflegt hatte, mit einem Badehaus mit einer Sitzbank, eigentlich nur ein Unterstand. Wir hatten ja den Pool beim Haus. Ich konnte schon mit drei Jahren schwimmen. Aber mit fünf wollte ich einmal im Weiher baden, was strengverboten war. An einem Samstagmorgen, das Haus war still, lief ich weg, hinaus, und merkte zu spät: ich hatte nicht mal die Badehose dabei. Aber zurück ging nicht mehr. Es war eine Mutprobe. Der Weiher war zugewachsen, aber es gab eine Stelle, wo man ins Wasser steigen konnte. Als ich mich auszog, schämte ich mich, aber es konnte mich ja keiner sehen. Ich versteckte die Kleider in einer Baumwurzel und stieg ins schwarze Wasser. Bevor die Füße im watteweichen Schlamm versanken, schwamm ich los. Das schwarze Wasser trug mich. Ich schwamm im Bogen zum Badehaus hinüber und zog mich ans Ufer. Ich lebte noch.
Da hörte ich in die Hände klatschen. Gut gemacht, rief es aus der Hütte. Es war Chantal, sie hatte mir zugesehen. Sie lag auf der Sitzbank, im blau-weißen Morgenmantel mit weiten Ärmeln, und stützte sich auf den Ellbogen. Schon das strengte sie an. Ich lief zu ihr hin, hatte ganz vergessen, daß ich nackt war; da ließ sie sich etwas sinken und lächelte mich an. Sie hätte im Bett sein müssen, aber sie sagte: Ich bin entwischt wie du. Aber du hast ja Hühnerhaut, flüsterte sie. Komm an die Wärme. Sie hat die Arme gehoben, um mich näher zu ziehen, Arme dünn wie Rohr, und hat mir über den nassen Rücken gestrichen, mit der mageren Hand. Nebeneinander hatten wir nicht Platz auf der Bank, so öffnete sie den Morgenmantel nach meiner Seite, und als ich darunterkroch, schlug sie ihn um mich herum und hielt mich so fest, daß ich ihre Brust nicht sehen sollte. Aber ich sah das Kruzifix, preßte das Gesicht darauf, und sie rückte etwas beiseite, damit ich noch bequemer lag, ganz an der Wärme. Ich fror nicht mehr, und doch begann ich zu zittern, meine Zähne schlugen aufeinander, denn da geschah etwas Schauderhaftes. Das Ding zwischen meinen Beinen war fest geworden und wuchs in Chantal hinein wie in ein warmes Bad. Es fühlte sich an wie der seidenweiche Schlamm zwischen den Zehen. Sie sagte kein Wort, aber sie hielt mich noch fester, drehte den Kopf zur Seite und seufzte. Ich wußte nicht, wie mir geschah, aber jetzt begann ich zu reiten. Dabei war Chantal schmal wie eine Ziege, aber ihr Schoß hielt mich fest. So, so,
mon petit chou
, flüsterte sie undbegann mich zu wiegen, schließlich hüpften wir miteinander, fast als kämpften wir, aber obwohl sie schwerer atmen mußte, spürte ich, sie wird wieder stark. Ich reite auf ihr, davon wird sie gesund! So, so, flüsterte sie, und ich sah das Kruzifix tanzen an ihrem Hals. Und dann sah ich, sie weinte ja, es war Schluchzen,
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