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Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
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was sie schüttelte und ganz innen zusammenzog. Ich schämte mich und wurde still. Warum weinst du? fragte ich. Sie schüttelte nur den Kopf und biß sich auf die Lippen. – Vor Freude, sagte sie, ich habe so lange nicht mehr richtig geweint. Du wirst ein Mann, Jacques, ein großer guter Mann.
    Als es lange still blieb, sagte Hubert: Das bist du geworden.
    Zwei Wochen später war sie tot, sagte Jacques. – Seine Augen liefen über, doch seine Stimme schwankte nicht, als er das Glas hob. Auf dein Wohl, Huppert. Er wollte trinken, doch das Glas war leer. Er setzte es ab und schenkte nicht mehr nach.
    Die Eigentumsverhältnisse der «Hygeia» hatte Reinhold noch zu Lebzeiten zugunsten der Arbeiterschaft geregelt, in deren Eigentum das Werk überging. Was sein Privatvermögen betraf, so hatte Achermann zwar Andeutungen des Freundes entnehmen können, daß etwas auf ihn zukam, aber auf dreißig Millionen war er nicht gefaßt, die auch dem Notar von Reinholds Wohngemeinde den Schweiß auf die Stirn trieben. Einige entfernte Verwandte gingen nicht leer aus, aber Hubert Achermann, Vollstrecker des Testaments, war zu seinem Hauptbegünstigten geworden. Das aber hieß: die Stiftung «zum Eisernen Zeit» hatte ein wahrhaft fettes Jahr. Denn eine fast gleiche Summe war ihr aus der Erbschaft Frau Seilers zugeflossen, deren Wunsch nach einem flotteren Abtreten einen Tag nach Reinholds Tod erhört worden war. Mit soviel Kapital wurde die Gründung der geplanten Bank «zum Zinstragenden Sparhafen» möglich, und die AAS unternahm, unter Federführung Moritz Assers, die nötigen Schritte dazu.
    Das Institut konnte er auch und sogar besser von New York aus dirigieren, wo ihm noch Verbindungen aus seiner Studienzeit zuGebote standen. Moritz hatte offen deklariert, daß er im Einvernehmen mit Thomas Schinz reise und auch seine Interessen wahrnehme.
    O papapapai
, heulte Jacques los, erwartest du meinen Segen, listenreicher Odysseus?
    Ja, sagte Moritz. – Troja fällt nicht ohne Mitwirkung der Trojaner.
    Herr Thomas Schinz hat sich einen Sohn nach seinem Herzen gewünscht, und ich war’s nicht. Einen von beiden wirst du verraten müssen, mein Freund.
    Die
Sache
nicht, sagte Moritz.
    Es lebe die Sache, sagte Jacques.
    Marybel hatte sie verständnislos angeblickt. – Wovon redet ihr?
    Über ein Stück von Sophokles, Schatz, geschrieben im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Das ist lange her.
    Moritz’ Abschied rückte näher; Begleitung zum Flughafen hatte er sich verbeten. Aber am Reisetag kam er mit seinem Rucksack nochmals in Marybels Büro.
    Weißt du schon, wo du wohnst?
    In Brooklyn, bei meiner Großtante, wie vor sieben Jahren. Damals lebte ihr Mann noch. Er war Rabbiner.
    Bist du gläubig?
    Nein, sagte er.
    Aber Gott glaubt an
dich
, sagte sie.
    Er war einen Augenblick verblüfft, dann lachte er und sagte: Hoffentlich tut’s ihm gut. Jetzt gehe ich zum Flughafen.
    Ich rufe ein Taxi.
    Ich
gehe
, sieh doch. Wanderschuhe!
    Sie lachte. – Zum Flughafen ist sicher noch nie einer gewandert.
    Wenn er fliegt, sitzt er noch lange genug. Goodbye, Marybel, summte er, nach der Melodie eines Songs von Leonard Cohen. – Halt den Laden zusammen. Und sieh zu, daß wir Kasse machen. Wir brauchen Geld,
viel
Geld!

9
1971–1977–1984. Salomon
    Nach dem Unfalltod ihrer Schwester im Juni 1971 hatte Sidonie Wirz ihrem Anwalt Hubert Achermann – Erzeuger des Kindes, das sie in den Tagen des Unglücks geboren hatte – in Aussicht gestellt, über sein Mandat zu «reden». Dazu kam es nicht, trotz seiner wiederholten Rückfrage. Erst vor Weihnachten überwies sie einen fünfstelligen Betrag auf sein Konto, woraus er schloß, daß ihr das Erbe zugesprochen worden war, wohl einschließlich Verenas Anteil. Wenn diese kein Testament gemacht hatte, galt nach ihrem Tod das Gesetz, und dieses verkehrte Verenas Absicht ins Gegenteil. Sidonie verfügte am Ende so gut wie allein über Haus und Hof des «Gugger» und den in dreißig Hektar Grundbesitz verkörperten Wert. Doch Neid und Vorurteil, die Verenas Partei hatte mobilisieren wollen, waren mit ihrem Tod nicht aus der Welt geschafft. Sie war ihrer Schwester so gelegen gestorben, daß man an
foul play
glauben konnte, auch wenn Sidonie als Wöchnerin gewissermaßen ein Alibi besaß. Die AAS erstattete Sidonies Überweisung zurück, mit dem Kommentar, die Anwälte glaubten nicht, ein Honorar zu verdienen, für das sie keine Leistung erbracht hätten; gezeichnet: Dr. Hubert Achermann.
    Nachdem

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