Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sax

Sax

Titel: Sax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Muschg
Vom Netzwerk:
einig zu sein. Der Rand des Kamins war zu einer Granitbank verbreitert, die sich im rechten Winkel in den Raum hinaus fortsetzte und mit Kissen belegt war. Sie saßen sich schräg gegenüber, Sidonie mit übereinandergeschlagenen Beinen,auf denen das weiße Kleid selbst weit zurückwich. In ihre unnahbar korrekte Stellung schlich sich, wenn sie mit den Achseln zuckte, eine Spur von Räkeln ein, eine Suggestion von Hingabe, die sich mit ihrer strengen Miene nicht vertrug.
    Was sie mit dem «Gugger» im Sinn hatte, nannte Sidonie «eine Sammelstelle von Orientierungswissen», «etwas zwischen Akademie und Leuchtturm». Die Lage des «Gugger» sei wie geschaffen, richtungsweisend in die Gesellschaft auszustrahlen. Der nötige Umbau war vom Gemeinderat abgesegnet worden – «vielleicht wählen sie mich nächstens hinein». Was sie zur Zeit beschäftigte, war der Aufbau eines starken Teams. «Ich habe dir von Robert Wittwer erzählt – er ist jetzt Stabschef bei mir.» Einen «Mann in ihrem Leben» gab es nicht, auch wenn es die Boulevardblätter inzwischen der Mühe wert fanden, nach einem solchen zu fahnden. «Sie gehören nicht zu den üblichen Verdächtigen, Salomon sieht Ihnen zu wenig ähnlich – und da Schieß sein Pate ist, müssen Sie ja zu meinen Feinden gehören. Eine alleinerziehende Mutter und keine Affären – eine böse Zunge hat mich ‹die Claire Zachanassian Überseens› genannt. Ich bin aber auch ‹eine kommende Frau›.»
    Sie klang amüsiert. Ja, sie hatte Salomon taufen lassen, an seinem vierten Geburtstag. «Es liegt mir daran, daß er bei uns verwurzelt ist.» Auch Sidonies Beziehung zu Schieß und Gattin hatte wohl etwas mit Wurzelschlagen zu tun. Seit er seine Hand über sie hielt, begannen sich Hypotheken der Vergangenheit in moralisches Kapital zu verwandeln. Daß sie seiner Partei nicht beigetreten war, machte sie auch für andere wählbar. Ihrem Auftritt war diese Unabhängigkeit bis zum Haarschnitt anzusehen. Sie sympathisierte mit der Bewegung der Kommunitaristen, die ein wenig verdächtig klang, aber sie war ein Stück solides Amerika, wandte sich gegen Exzesse des Liberalismus und band den Gedanken der Gerechtigkeit an denjenigen einer verbindlichen Gemeinschaft.
    Wie lebt Salomon?
    Sie werden gleich sehen. Gehen wir, sonst ist die Party vorbei.
    Sie stützte sich auf seinen Arm, als man über die Baustelle ging, und ließ ihn auch nicht los, als man hinter der Scheune den Kirschgarten erreichte, in dem Vater Wirz zu Tode gekommen war. Der Weg führte durch ein Stück offene Wiese; aus dem Gehölz dahinter hörte man Kinderstimmen. Die Bäume säumten einen verschilften Weiher, Herzstück des vorgesehenen Naturschutzgebiets. Das bergseitige Ufer war gemäht und als Spielplatz gestaltet; vielleicht ein Dutzend Kinder tummelten sich darauf.
    Hubert war der einzige erwachsene Gast. Er versuchte seinen Sohn auszumachen; Sidonie half ihm nicht auf den Sprung. Zwei junge Osteuropäer beaufsichtigten die Kinder und trieben sie jetzt den Tischen und Bänken zu, die vor einer Blockhütte aufgestellt waren. Hier wachten größere Mädchen über Kuchen, Schüsseln mit Obst, Krüge voll Saft und eine Eiscremebox. Aber bevor die Gesellschaft zugreifen konnte, mußte sie bei Sidonie und ihrem Gast vorbei und Händchen geben. Meist nannten sie keinen Namen, und so mußte Achermann zu beobachten fortfahren, bis irgendwo ein Kind
Salomon!
schrie.
    Der Angerufene war der Kleinste der Gruppe, dunkelblond, mit einem schmalen, füchsisch wirkenden Gesicht. Er sprach wenig, wendete aber den Kopf wachsam wie ein Vogel hin und her. Daß er das Geburtstagskind sein mußte und der kleine Hausherr, entnahm Achermann dem Betragen des Personals.
    Er wurde nicht zum Sitzen eingeladen, Sidonie ergriff bald wieder seinen Arm, und man schritt zum Haus zurück, als wäre nun alles Nötige geschehen. Über Salomons Leben und Vorlieben hatte er nur erfahren, daß er kaum von seinem Apple II wegzubringen war, einem sogenannten Computer.
    Erst sieben Jahre später, im September 1984, kam Achermann zur nächsten Begegnung mit seinem Sohn. Sidonie bat ihn in einem handgeschriebenen Brief, einige Tage im «Gugger» ihr Gast zu sein. Sie möchte mit ihm über Salomon reden. Er schrieb zurück: Wenn er diesmal auch
mit
Salomon reden könne: gern.
    Diesmal ließ sie ihn abholen, vor dem «Eisernen Zeit». Er hatte gleich das Gefühl, Teil einer bedeutenden Veranstaltung zu werden. Der Fahrer des Bentley war ein vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher