Sayuri
sagte er tonlos.
In der Baracke blieb es still, bis eine krächzende Stimme aus einer Ecke alle anderen ermahnte, sich wieder zum Schlafen zu legen.
Kiyoshi horchte in die Dunkelheit, bis das Rascheln und Stöhnen in der Baracke verebbte. Alle Müdigkeit war von ihm abgefallen und er stand vorsichtig auf. Jailyn sah zu ihm auf, aber er bedeutete ihr weiterzuschlafen, und sie schloss erneut die Augen. Blind im Halbdunkel der Nacht tastete er sich über Beine und Körper hinweg zur Türöffnung, die mit einem Fell verhangen war. Dort blieb er einen Augenblick lang unschlüssig stehen. Sein Herz klopfte dumpf in seiner Brust.
Lautlos trat er auf den schmalen Pfad hinaus. Durch die Löcher in den Wänden und die offenen Eingänge konnte er in die anderen Baracken hineinspähen. Die Menschen lagen so eng aneinandergedrängt wie in seiner Schlafstätte, schutzlos, meist sogar ohne Decken, Kinder wie Erwachsene, doch keiner von ihnen über dreißig. Ganz im Gegenteil – viele von ihnen waren noch weit unter zwanzig – das mussten diejenigen sein, die Miro aus der Stadt verbannt hatte. Schnell wandte er den Blick ab und ging weiter. Er fühlte sich schuldig, als wäre er es, der dieses Lager errichtet hatte. Der Gedanke, die Menschen zu diesem Schicksal verdammt zu haben, wurde ihm unerträglich und er beschleunigte seine Schritte. Unschlüssig, in welche Richtung er sich wenden sollte, schlich er ziellos zwischen den Baracken umher, die Schultern fröstelnd hochgezogen und die Arme um den Leib geschlungen.
Das Fackellicht der Wächter war aus dem Irrgarten der Baracken verschwunden. Zwar schienen die Feuer von den Wachtürmen herunter, aber er konnte sich gefahrlos bewegen, solange er nicht den Schutz der niedrigen Hütten verließ.
Die Monde schienen diese Nacht fast farblos über dem Lager zu wachen. Es war ein merkwürdiges Licht, er vermisste den Trost, den der grüne und blaue Schein ihm schon oft gespendet hatte.
Entschlossen biss er die Zähne zusammen und ging weiter. Heute sollten Turu und Lauryn keine Klagen von ihm hören. Er würde sein Schicksal akzeptieren und nach dem richtigen Weg für sich suchen.
Überrascht hielt er inne, als sich direkt vor ihm ein kleiner, freier Platz auftat. Er war der Enge der Baracken schneller entkommen, als er erwartet hatte. Im Schatten einer Hüttenwand blieb er stehen und sah über den Platz hinweg zu den Schmieden hinüber. Sie waren verlassen, aber vermutlich mussten hier Tag für Tag die Menschen schuften. Sein Blick glitt weiter und erfasste dunkle Löcher, die sich in den Boden fraßen und den Erzadern bis tief unter die Erde folgten. Schaudernd wandte er seine Augen ab, doch dann blieb sein Blick an einem Schatten hängen, den er zwischen zwei hohen Sandbergen erkennen konnte.
Es war ein Mensch, der dort drüben reglos im Sand lag.
Das Mondlicht wurde von den schwarzen Kleidern geschluckt, die zerrissen an seinem Leib hingen. Darunter schimmerte die bloße Haut.
Langsam trat Kiyoshi einen Schritt nach vorne, blieb dann aber stehen. Der Platz war von den Wachtürmen aus gut einzusehen. Andererseits, was hatte er zu verlieren? Sein Blick glitt wieder zu der Gestalt. Ob das der Mann war, der den Fluchtversuch gewagt hatte? Vorsichtig tastete er sich voran, wobei er all seine Sinne auf mögliche Gefahren konzentrierte.
Neben der Gestalt ließ er sich mit laut hämmerndem Herzen in den Sand sinken und berührte sie vorsichtig an der Schulter. Seine Finger strichen über einen Riss in der Kleidung, er spürte etwas Feuchtes. Blut.
Da regte sich die Gestalt. Zitternd zog sie einen Arm an, stemmte die flache Hand auf den Boden und versuchte sich in die Höhe zu drücken.
Kiyoshi griff nach dem anderen Arm und merkte zu spät, dass sich lange blutige Striemen darüberzogen. Der Verletzte sank stöhnend in sich zusammen.
»Tut mir leid«, murmelte er hilflos.
Keuchend startete die Gestalt einen neuen Versuch. Zweimal holte sie röchelnd Luft, dann gelang es ihr, sich ein Stück aufzurichten, das Gewicht des Oberkörpers auf beide Hände gestützt.
Kiyoshi musterte den Fremden besorgt. Im Mondlicht konnte er erkennen, dass es sich um einen jungen Mann handelte. Unter den Fetzen seines Hemdes waren muskulöse Arme zu erkennen, sein breiter Rücken war von roten Striemen überzogen und das Blut tropfte gleichmäßig langsam in den Sand.
Vorsichtig hob der Mann nun eine Hand und fuhr sich übers Gesicht, das ebenso blutverschmiert war wie sein Rücken. Langsam drehte
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