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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bargmann
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spöttisch.
    Jeder Schritt fiel ihm schwer. Der Abstieg ins Tal war bereits eine Qual gewesen und mehr als einmal hatte er sich gewünscht, sich einfach in den heißen Sand sinken zu lassen und liegen zu bleiben. Noch nicht, hatte eine Stimme verbissen in ihm geflüstert und er war weitergegangen. So schnell durfte er nicht aufgeben. Solange er noch einen Schritt vor den anderen setzen konnte, würde er durchhalten. Schließlich hatte er sein Schicksal im Gegensatz zu den anderen selbst gewählt.
    Bei dem Gedanken an die sichere Stadt, an Miro und Rajar biss er nur noch entschlossener die Zähne zusammen. Hier würde er sein Ende nicht finden. Er dachte gar nicht daran!
    »Rein da!«, knurrte einer der Wächter.
    Kiyoshi merkte erst, dass er gemeint war, als das Schwert des Mannes ihn mit der Breitseite grob in eine der Baracken stieß. Er stolperte über die kleine Schwelle und wäre fast gestürzt. Halt suchend griff er nach vorne und fing sich an der Wand ab. Für einen Moment blieb er mit gesenktem Kopf in der Dunkelheit stehen und rang nach Atem. Dann sah er auf und blickte in fünf verängstigte Augenpaare. Die Bewohner der Baracke mussten bereits geschlafen haben. Eng aneinandergedrängt lagen oder saßen sie auf dem Boden, dünne, alte Decken, die wohl kaum Schutz gegen die Kälte der Nacht boten, auf ihren Knien.
    Vorsichtig, aus Angst, abermals die höllischen Schmerzen zu wecken, richtete er sich leicht auf und stellte mit einem Hauch der Erleichterung fest, dass auch Jailyn und die beiden anderen, mit denen er im Käfig gewesen war, mit in die Baracke gestoßen worden waren.
    »Macht Platz für die Neuen!«, hallte draußen der Ruf des Soldaten, den er alle zehn Schritte wiederholte. In Kiyoshis Ohren klang er wie Hohn. Auf dem Boden der Baracke war kaum noch Platz, um dort zu stehen, geschweige denn zu sitzen.
    Eine Gestalt in einer der hinteren Ecken rutschte noch näher an die Wand und setzte sich mit dem Oberkörper auf. Die anderen taten es ihr stumm nach. Jailyn ließ sich direkt neben der Tür auf den Boden gleiten, die Knie angezogen, um noch Platz für die anderen zu lassen.
    Die bedrückende Stille im Raum und die gesenkten Blicke der anderen Gefangenen ließen Kiyoshi zögern. Hilflos sah er hinaus, wo der Fackelschein die vorbeiziehenden Gesichter der neuen Gefangenen beleuchtete.
    »Setz dich!«, zischte einer der Jungen, die mit ihm gekommen waren, und riss ihn grob zu Boden. »Keiner wird dem Prinzen hier ein Bett herrichten«, fügte er noch hinzu.
    Schmerzen explodierten in Kiyoshis Rücken und trieben ihm die Tränen in die Augen, als er auf dem Boden aufschlug, aber er unterdrückte verbissen einen Aufschrei. Den Kopf auf die Knie gelegt, schloss er die Augen.
    Marje. Er hatte sie nicht unter den Gefangenen gesehen, was bedeutete, dass ihr die Flucht gelungen sein musste.
    Wenigstens das! Der Gedanke gab ihm ein bisschen Ruhe. Er lauschte in die Dunkelheit. Die Stille umfing ihn wie eine schwere Decke. Seinen Umhang hatte er zwar Marje überlassen, aber seine Kleidung war trotzdem wärmer als die seiner Mitgefangenen. Er schmiegte seine unverletzte Wange gegen den weichen Stoff. Erinnerungen stiegen in ihm auf. Marjes Augen – mal hell, mal dunkel. Ihre Stimme, rau und erstaunlich tief. Seine Mutter mit dem Blütenkranz, die blauen Augen so klar auf ihn gerichtet, wie er sie selten gesehen hatte. Sayuris Garten.
    Er spürte noch, wie Jailyns Kopf gegen seine Schulter sank, dann glitt auch er in einen tiefen Schlaf der Erschöpfung.
    Kiyoshi schrak von dem Klirren von Waffen, lauten Schreien und gebrüllten Befehlen hoch, die die Luft erfüllten. Im ersten Moment dachte er, dass sie irgendwo aus ihrer Baracke kamen, doch er hatte sich getäuscht. Hier drinnen war alles ruhig.
    Hastige Schritte flogen an ihrer Baracke vorbei, flackernder Fackelschein malte von außen gespenstische Schatten an die dünnen Wände. Um ihn herum regten sich die Gefangenen. Man konnte die Angst förmlich spüren, die in der Luft lag. Kiyoshi wagte kaum zu atmen.
    Ein metallisches Klirren, ein tierisches Brüllen. Dann war der Spuk vorbei, genauso schnell, wie er begonnen hatte, und es wurde beängstigend still im Lager. Ein letzter Aufschrei erklang und zerriss die Stille, danach war nur noch ein leises Wimmern in der Dunkelheit zu hören.
    Stumm hatte Kiyoshi den Geräuschen gelauscht, jetzt wandte er den Kopf zur Tür, in der einer der Jungen stand, um das Geschehen zu beobachten.
    »Ein Fluchtversuch«,

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