Sayuri
kurz darauf auf der Straße, die Tshanil in goldenes Licht tauchte.
Ihre Füße wirbelten den trockenen Staub vom Boden auf, den der Wind in der Nacht in die Straßen getragen hatte. Kinder tobten um sie herum, spielten Fangen und jagten zwischen Karren und Wäscheleinen die Straße entlang. Nach wenigen Minuten kam Marje auf den Platz, in dessen Mitte die Leitung aus der Zinade führte. In der alten Stadt gab es reich verzierte Brunnen, geschmückt und prächtig verziert, doch hier waren es mehrere schlichte Hähne, aus denen man Wasser zapfen konnte – gesetzt den Fall, dass die Leute in der Zinade die entsprechenden Hebel dafür umgelegt hatten. Der Boden unter den Hähnen war heute Morgen noch verräterisch feucht.
»Ein segensreicher Tag«, stellte ein Händler fest, der gerade seinen Stand auf dem Platz aufbaute.
»Erfrischend!«, stimmte eine Frau zu und zwinkerte ihr verschmitzt zu.
Marje grinste und legte warnend einen Finger an die Lippen. Natürlich wussten fast alle im Viertel, wem sie den Wassersegen in der Nacht zu verdanken hatten, und Marje hätte wohl für die meisten die Hände ins Feuer gelegt, dass niemand sie verriet. Dennoch musste sie vorsichtig sein. Wenn irgendetwas nach außen drang, würden sie bestimmt nicht so schnell wieder in eine Zinade einbrechen können.
Wir werden so oder so nie wieder in eine Zinade einbrechen. Schließlich wissen sie jetzt, dass es uns einmal gelungen ist .
Aber egal: Sie hatten wenigstens dieses Mal über die Zinadenwächter und die anderen Soldaten triumphiert.
Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, schob sich ein Schleier vor ihre Augen.
Aber welchen Preis hatte sie dafür gezahlt? Was hatte sie dafür in Kauf genommen? Wenn der junge Soldat vielleicht wirklich tot war, dann würde sie es wohl kaum als Erfolg bezeichnen können. Ich hab mich nur verteidigt, versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Und doch fühlte sich das Messer an ihrem Gürtel wie ein Fremdkörper an, den sie am liebsten weit von sich geschleudert hätte.
Eilig bog sie in die Straße ein, in der Shoan wohnte. Er hatte sich in den zwei Kellerräumen eines Hauses einquartiert, die darüberliegenden Stockwerke waren längst in sich zusammengefallen. Der weiße Wüstenstein wurde von Sandstürmen aufgerieben. In der heißen Sonne bildeten sich Risse, das Gestein bröckelte und die trockene Luft tat ihr Übriges. Mit den Jahren war der äußere Ring der Stadt stark verfallen und wurde inzwischen vom Wüstensand, den der Wind mit sich brachte, immer mehr verschüttet.
Mit langen Schritten stieg Marje die Stufen hinab zum Eingang der kleinen Wohnung, die mit einem Vorhang verhängt war. »Shoan?«, rief sie nach ihrem Freund. »Bist du da?« »Marje?«, hörte sie die Stimme Shoans aus der Dunkelheit. »Komm rein.«
Vorsichtig schob sie den Vorhang beiseite und betrat den Flur. Einen Augenblick musste sie stehen bleiben, um sich an das dämmrige Licht zu gewöhnen. Auf der rechten Seite lagen Shoans Schlafzimmer und seine Kochstelle, die eigentlich mehr ein Lagerraum war. Da es keinen Abzug für den Rauch gab, konnte man kein Feuer machen. Links vom Flur befand sich Shoans Schatzkammer, wie er sie selbst gerne bezeichnete. Hier ruhten all seine Reichtümer, die Juwelen, die er hatte retten können, als die alte Bibliothek abgebrannt war. Viele Bücher waren den Flammen zum Opfer gefallen und einige hatte er gar nicht mitnehmen können, als er in diesen Keller gezogen war. Dennoch waren mehrere Regale bis unter die Decke gefüllt, geordnet und gelistet wie früher in der Bibliothek.
»Ich hab dir dein Buch zurückgebracht«, rief sie.
»Wunderbar«, antwortete Shoan. Seine Stimme kam aus dem Raum, der links von ihr lag.
Shio, der auf Marjes Schulter saß, leuchtete sanft und Marje betrat die Bibliothek. Der Lichtkreis des Irrlichtes mischte sich mit dem der zwei Kerzen, die ihr Freund auf einer umgedrehten Kiste angezündet hatte. Mit einem Buch in der Hand saß er da, die langen Haare fielen ihm ins Gesicht und verbargen die eingefallenen Wangen. In den letzten Jahren war er immer dünner geworden.
»Lino hat mir etwas für dich mitgegeben«, verkündete Marje und stellte den Korb vor Shoan auf dem staubigen Boden ab.
Während Shoan neugierig in den Korb sah, stellte sie ihr Buch an seinen Platz im Regal zurück.
»Danke«, lächelte ihr alter Freund müde. »Ich hab gehört, ihr seid gestern überaus erfolgreich gewesen?«
»Warst du nicht da?« Marjes Blick, der auf der
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