Sayuri
Stirn. Er riss sich von Marjes Hand los, öffnete die Tür und stolperte auf den Gang hinaus, wo er in die Knie ging.
Zitternd holte er Luft, als Marje aus dem Zimmer des Kaisers kam und sich neben ihn setzte. »Du hast es nicht gewusst, oder?«, fragte sie leise.
Kiyoshi schluckte und schüttelte stumm den Kopf, um gleich darauf zu nicken. Seine ganze Welt lag wie ein einziger großer Scherbenhaufen vor ihm. Das Gezwitscher der Vögel, die im Palastgarten auf den Bäumen saßen, klang wie durch Watte zu ihm. Sein Körper fühlte sich taub an. Erst als Marje ihm die Arme um den Hals legte und er ihren warmen Atem an seinem Hals spüren konnte, wachte er aus seiner Starre wieder auf.
»Willst du es mir nicht erzählen, was mit deiner Familie ist?«, fragte sie vorsichtig.
Kiyoshi zuckte leicht mit den Schultern. Vielleicht war das Ganze leichter zu ertragen, wenn er sich nicht allein mit seinen Gedanken quälen musste. In seinem Kopf waren so viele Fragen, auf die er keine Antworten wusste.
»Es war alles falsch«, flüsterte er leise. »Ich bin in dem Glauben aufgewachsen, dass der Kaiser keine Kinder hat. Deswegen hat mich Miro zu seinem Erben gemacht. Aber was ist nun? Wem kann ich nun noch glauben?« Tränen traten ihm in die Augen und ein Lachen schüttelte seinen Körper. »Ich weiß gar nichts, nichts über Sayuri, genauso wenig wie über mich.« Er schluckte schwer. »Mein ganzes Leben ist eine einzige Lüge.«
7. Kapitel
D ein Leben ist keine Lüge, Kiyoshi.«
Erschrocken zuckte Marje beim Klang der dunklen Stimme zusammen, die plötzlich hinter ihnen auftauchte.
Mit einem Satz war sie auf den Füßen. Zwar hatte sie den Kaiserbruder schon öfter gesehen, doch noch nie war sie ihm so nah gewesen. Kiyoshis Onkel war groß und schlank. Sein Körper wirkte kraftvoll und Marje wich unwillkürlich weiter an die Wand zurück, als sein Blick sie traf.
Für einen Moment wirkte Miro gehetzt, wie ein in die Enge getriebenes Tier, doch dann hefteten sich seine Augen auf Kiyoshi. Die harten Züge in seinem Gesicht wurden ein wenig weicher.
»Es war nicht alles eine Lüge«, widersprach er mit Nachdruck und Marje glaubte ganz kurz, so etwas wie eine Entschuldigung in seinem Blick zu sehen.
Kiyoshi erhob sich vom Boden und richtete sich zu voller Größe auf. Hasserfüllt starrte er auf den Mann, der ihn aufgezogen hatte.
»Ja, ich habe gelogen.« Miro ließ Kiyoshi nicht aus den Augen. »Aber du musst mir glauben, dass ich immer nur das Beste für dich wollte!«
Kiyoshi presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und der Bruder des Kaisers redete hastig weiter. »Ich wollte dich nicht mit Dingen belasten, an denen du sowieso nichts hättest ändern können.«
»Und deshalb war es einfacher, mich mit einer Lüge groß werden zu lassen?«
Kiyoshis Stimme war kalt wie Eis und Marje zuckte zusammen, als sie ihn so reden hörte. Sie hatte das Gefühl, dass er unerreichbar weit von ihr entfernt war. Hilflos griff sie nach seiner Hand und starrte zornig zu Miro. Sie wollte sich nicht in das Gespräch einmischen, aber Kiyoshi so leiden zu sehen, ließ eine brennende Wut in ihr aufsteigen.
»Es tut mir leid«, sagte Miro leise.
»Ach, und deswegen hast du mir auch Rajar nachgesandt?«, spottete Kiyoshi und stieß ein heiseres Lachen aus. Als Miro zu einer Erwiderung ansetzte, unterbrach Kiyoshi ihn barsch. »Du könntest zur Abwechslung einmal damit anfangen, die Wahrheit zu sagen. Wer ist das Mädchen? Wer ist Sayuri?«
Miro rang sichtlich mit sich. »Sie ist …«
»Deine Nichte«, half Kiyoshi ihm bei der Antwort. »Sie ist die Tochter des Kaisers. Des gleichen Kaisers übrigens, der zeit seines Lebens angeblich kinderlos geblieben ist.«
Miro senkte den Kopf. Das Schweigen, das sich zwischen ihnen ausbreitete, war so geladen, dass Marje unwillkürlich die Luft anhielt. Sie spürte, wie Kiyoshis Atem schneller ging, und am liebsten hätte sie Miro an den Schultern gepackt, um die Wahrheit aus ihm herauszuschütteln.
Als Kiyoshi einen Schritt auf ihn zutrat, ergriff Miro endlich das Wort. »Wir alle haben sie so sehr geliebt. Es war zu schwer für uns, für den Kaiser wie für mich.«
»Wen habt ihr geliebt?« Kiyoshis Stimme war unerbittlich. »Sayuri?«
Miro schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er und Kälte klirrte in seiner Stimme. »Es ist jetzt sechzehn Jahre her. Du warst kaum zwei Jahre alt. Deine Mutter war …«, er stockte. »Kiyoshi, aus Liebe tut man Dinge, die man zeit seines
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