Sayuri
verschieben«, sagte Kiyoshi hastig und lief Sayuri hinterher, die bereits das Ende der Straße erreicht hatte und nun in Richtung Hauptbrücke abbog. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Marje aufholte, dicht gefolgt von Thar.
Kiyoshi warf seiner Freundin einen Blick zu, aber ihr Gesichtsausdruck war verschlossen. Als sie auf einen breiteren Weg einbogen, zog er sich wieder die Kapuze ins Gesicht. Das Gefühl, beobachtet zu werden, verfolgte ihn, seit sie in der Stadt waren. Ein absurdes Gefühl, das verschwand, sobald er sein Gesicht versteckte.
Stumm liefen sie nebeneinander her. Marje hatte wieder nach Sayuris Hand gegriffen.
So durchquerten sie die Straßen, in denen die Menschen ihrem Tagesgeschäft nachgingen. Überall wurde gehämmert und gesägt – und die Spuren der Verwüstung, die noch bei seinem Aufbruch hier geherrscht hatten, waren vielerorts schon beseitigt worden. Kinder spielten auf den geschwungenen Brücken oder am Ufer des Shanu, junge Frauen hängten Wäsche auf.
Die Luft roch frisch und rein, keine Spur von Verwesung lag über der Stadt. Der Fluss plätscherte frisch in seinem Bett und zog sich wie eh und je durch die Stadt.
Ab und zu hörte Kiyoshi ein Horn aus der Ferne, fast wie ein Echo, doch kaum einer der Bürger achtete darauf.
Ein letztes Mal fragte er sich, ob er das Richtige getan hatte. Herrschte nicht wieder Frieden in der Stadt? Wer war er, dass er ihn so mutwillig aufs Spiel setzte? Und konnte er die Verantwortung übernehmen, dass diese Menschen abermals verunsichert wurden, die gerade wieder zu ihrem Alltag zurückkehren wollten?
Doch dann schüttelte er den Kopf. Er war drauf und dran, den gleichen Fehler zu machen. Schon früher hatte er sich von der Idylle der alten Stadt täuschen lassen. Hatte sich nicht gekümmert, was mit den Tallern war, hatte keine Gedanken an diejenigen verschwendet, die verbannt wurden und von den Söldnern versklavt wurden.
Doch nun wusste er es besser. Er wusste, wie viele noch dort draußen waren, wie viele ihr Leben gelassen hatten, nur weil Miro Angst vor einer Einzigen gehabt hatte.
Er wusste, wie viele Familien um ihre Kinder trauerten, Kinder, die niemals zurückkommen würden, egal, was Miro auch unternahm. Kiyoshi musste dafür sorgen, dass dieses Unrecht ein für alle Mal ein Ende hatte. Das hatte er sich dort draußen in der Wüste geschworen und tief in seinem Herzen wusste er, dass er richtig handelte.
Aus dem Handwerkerviertel gelangten sie über die breiten Straßen am Shanu in die Nähe des Palastes. Wie immer schien Marje, die Sayuri an der Hand hielt, das blasse Mädchen zu führen, aber Kiyoshi war sich sicher, dass es diesmal umgekehrt war. Sayuri wusste genau, wohin sie wollte.
Er musterte ihre blasse Miene, doch noch immer verriet nichts in ihr, was sie plante.
Schließlich erreichten sie eine der breiten Straßen mit den hohen Herrschaftshäusern der reichen Händler an der Palastmauer. Hier herrschte gepflegte Stille.
Die Blumen blühten wie eh und je, verschwenderisch mit dem Wasser gegossen, das den Leuten in der neuen Stadt und draußen in der Wüste vorenthalten wurde.
Unschlüssig sah Marje sich um. »Das letzte Mal war es Nacht, als ich über die Mauer geklettert bin«, sagte sie zögernd und schaute Hilfe suchend zu Kiyoshi.
»Wir könnten es auch durch den Spalt in der Nordmauer versuchen«, sagte er, ebenso zögernd.
Marje schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall. Ich gehe nicht ohne dich und du bist nicht schmal genug für den engen Spalt. Selbst ich habe mich kaum dort durchzwängen können.«
Tshanil schien gleißend hell vom Himmel und aus den Häusern drangen Alltagsgeräusche; ein Baby schrie, sie hörten das Klappern von Töpfen und sahen eine Kutsche mit prächtigen Pferden, die nicht weit vor ihnen von einem der Grundstücke rollte.
»Wo bist du damals über die Mauer geklettert?«, fragte Kiyoshi.
Marje zeigte auf eines der Häuser. »Dort drüben«, sagte sie.
Kiyoshi sah sich verstohlen um und schätzte die Lage ein. Dann nickte er. »Wir versuchen es«, sagte er knapp.
Im Schutz eines hohen Strauches kletterten sie in den Vorgarten und verharrten erneut, um sicherzugehen, dass sie nicht beobachtet wurden.
Die Kutsche war in die entgegengesetzte Richtung davongerollt und vor den Blicken der Familie, die friedlich im Nachbargarten am Esstisch saß, waren sie durch die dicke Hecke geschützt, die ihren Garten umgab.
Stumm zählten sie die Sekunden und lauschten in alle Richtungen. Nichts
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