Sayuri
voreinander gehabt, früher hatte er Rajar bedingungslos vertraut. Aber er kannte die kaisertreue Einstellung seines Freundes. Selbst wenn er ihm die ganze Wahrheit sagen würde, nie im Leben würde er Kiyoshi verstehen. Rajar würde Marje ohne zu zögern festnehmen.
»Ich weiß nicht, wen du meinst!«, sagte er kühl.
»Ach ja?« Rajar zog die Augenbrauen zusammen. »Dann werde ich dir mal auf die Sprünge helfen.« Mit zwei Sätzen war er bei dem kleinen Haus und riss die Tür auf.
»Wo ist sie?«, brüllte er einen Moment später. Dann hörte man einen hohen Schrei und ein Kreischen, das fast wie von einem Tier klang. Nur wenig später kam Rajar wieder aus dem Haus getaumelt, ein blutiger Kratzer zog sich über seine Wange.
»Verrückte Hexe«, fauchte er. Kiyoshi musterte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. »Wen meinst du?«, fragte er spöttisch. »Diese angebliche Attentäterin?«
»Das weißt du genau.« Rajars schönes dunkles Gesicht war eine Maske des Zorns. »Deine verrückte Mutter! Und du – du hast mich ausgetrickst. Wo ist sie hin?«
Kiyoshi zuckte mit den Schultern. »Ich hab keine Ahnung, von wem du sprichst«, sagte er müde. »Und nun lass mich durch. Miro erwartet mich.«
»Das passt ja gut«, wütete Rajar. »Dann kann ich gleich mitkommen und ihm davon berichten, dass sein Erbe eine Mörderin im Palast versteckt – bei seiner eigenen Mutter. Du verrätst deine eigene Familie, ist dir das eigentlich bewusst?«
Kiyoshi merkte, wie es in ihm brodelte, doch er ließ sich nichts anmerken. »Ich verrate niemanden«, widersprach er, so ruhig er konnte. »Vertrau mir einfach.«
»Ich soll dir vertrauen? Das hast du schon einmal gesagt. Erinnerst du dich? Und ich habe dich tatsächlich nicht verraten, als du in die Stadt geschlichen bist. Und das – das ist nun also dein Dank dafür? Ich dachte, wir wären Freunde!«
»Rajar, hör mir einen Moment zu!«, fauchte Kiyoshi. Mit seiner Beherrschung war es vorbei. »Ich bin dein Freund. Ich weiß, was ich tue. Und glaub mir, du ziehst die falschen Schlüsse.«
Für einen Moment schien Rajar verunsichert zu sein.
»Wenn du wirklich mein Freund wärst, würdest du mir die Wahrheit sagen.« Seine Stimme klang enttäuscht und in seinem Blick stand etwas, das Kiyoshi noch nie gesehen hatte. Verbitterung. Vielleicht sogar so etwas wie Neid.
»Ich sage die Wahrheit«, entgegnete Kiyoshi etwas ruhiger. Was zumindest nicht ganz gelogen war. »Aber es gibt Dinge, die ich nicht erzählen darf! Miro hat mich ins Vertrauen gezogen bei Angelegenheiten, die … Ich muss darüber schweigen.« Er verstummte. Lügen war ihm noch nie leichtgefallen. Und bei Rajar, der ihn so gut kannte, war es noch schwerer.
Aber hatte er eine andere Wahl? Kiyoshi konnte ihm nicht die wahren Beweggründe erklären, warum er Marje geholfen hatte. Er konnte es sich ja nicht einmal selbst erklären.
Rajar schüttelte nur stumm den Kopf, biss sich auf die Unterlippe und stapfte dann wortlos davon. Es war offensichtlich, dass er ihm nicht glaubte.
»Wo willst du hin?«, wollte Kiyoshi wissen, als er ihn bei den Ställen wieder einholte.
Rajar verschränkte die Arme vor der Brust, ohne stehen zu bleiben. »Zu Miro«, sagte er kühl. »Wir haben eine Mörderin im Palast.« Er lenkte seine Schritte auf die Ställe zu. »Aber vielleicht sollte ich auch schon jetzt die Wachen informieren.«
»Wer muss die Wachen informieren?«, fragte eine scharfe Stimme.
Miro! Der Bruder des Kaisers trat aus den Ställen. Offenbar war er gerade aus der Stadt gekommen. Miro hatte direkt im Anschluss an die Hinrichtung der Attentäter verkündet, dass man die Suche nach Sechzehnjährigen noch verschärfen würde. Sogar eine Belohnung war auf das Ausliefern eines Sechzehnjährigen ausgesetzt worden.
Jetzt baute sich der Regent vor ihnen auf und bedeutete seinem Gefolge mit einer knappen Handbewegung, sie allein zu lassen.
Die beiden Jungen sanken automatisch in die Knie.
»Erhebt euch«, forderte Miro sie ungeduldig auf. »Rajar, sprich. Was hast du eben gemeint? Warum müssen die Wachen informiert werden?«
Rajar warf Kiyoshi einen zögernden Blick zu. Dann richtete er sich auf. Stolz stand er vor dem Kaiserbruder, die Uniform der Palastwache blitzte in der Sonne. »Eure Hoheit, Prinz Kiyoshi versteckt eine Rebellin im Haus seiner Mutter«, erklärte er beinahe triumphierend.
Kiyoshi erstarrte, als Miros Blick sich fragend auf ihn richtete, doch dann riss er sich zusammen. »Ich verstecke keine
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