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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bargmann
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Lager, das er ihr auf dem Boden aus einigen Decken und Kissen bereitet hatte. Die Decke auf dem Bett wirkte unberührt. Auf dem schmalen Beistelltisch lag ein in kostbares Leder gebundenes Buch, das von einer Staubschicht bedeckt war, ebenso wie der gesamte Tisch und die Fensterbank.
    Lautlos stand sie auf und ging zur Tür, die halb verborgen hinter einem großen Schrank in den Nebenraum führte. Wie eine Wilde hatte sie gestern daran gerüttelt, als Kiyoshi sie hier einfach eingesperrt hatte. Durch das vergitterte Fenster waren die Rufe der Soldaten gedrungen. Irgendwann hatte sie sich für einen Moment auf das Lager gelegt, um einen Plan zu fassen und sich selbst zu beruhigen. Und dort hatten sie irgendwann die Müdigkeit und Erschöpfung übermannt und sie war eingeschlafen.
    Was hatte er nur mit ihr vor? Anstatt sie den Soldaten auszuliefern, sperrte er sie hier ein. Immer wenn sie ihm begegnete, handelte er entgegen allen Erwartungen. Warum?
    Und was war mit Milan? Sie musste unbedingt herausbekommen, was passiert war.
    Sie machte einen Schritt auf den Ausgang zu und bemerkte überrascht, dass die Tür nur angelehnt war. Wann war sie geöffnet worden? Und warum? War das etwa eine Falle?
    Vorsichtig spähte sie durch den Spalt ins Nebenzimmer. Auf einem runden Tisch zwischen zwei hohen Fenstern stand ein Tablett mit einem Frühstück, das ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ und gleichzeitig ihren Magen daran erinnerte, dass sie gestern fast einen ganzen Tag lang nichts mehr gegessen hatte. Vorsichtig schob sie die Tür ein Stück weiter auf, um den Rest des Zimmers überblicken zu können. Doch die Tür knarrte verräterisch laut und mit einem Rascheln erhob sich eine Frau aus einem hohen Lehnstuhl, den sie jetzt erst sehen konnte.
    Sie war groß, schlank und ihre Züge verrieten einstige Schönheit. Doch um ihren Mund lag ein verhärmter Ausdruck und Falten ließen ihr Gesicht älter erscheinen, als sie vermutlich war.
    »Ausgeschlafen?«, fragte sie mit einem sanften Lächeln, das Marje alle Angst vergessen ließ. Hätte Kiyoshi sie ausliefern wollen, hätte er sie am Vortag den Soldaten überlassen, da war sie sich plötzlich sicher. Trotzdem zögerte sie, als sie in den Raum trat, und wieder glitt ihr Blick zu dem Saftkrug, dem aufgeschnittenen Brot und dem Honigglas. Ihr Magen knurrte.
    »Greif nur zu«, lächelte die Frau.
    Einen winzigen Augenblick wollte Marje dankend ablehnen, aber dann siegte der Hunger und ohne die Frau aus den Augen zu lassen ging sie zum Tisch und nahm sich eine Scheibe des hellen Brotes. Die Frau schenkte ihr gelben Saft in einen aufwendig verzierten Becher. »Woher kommst du?«, fragte sie.
    Gierig biss Marje vom Brot ab und nahm einen hastigen Schluck aus dem dargebotenen Becher. »Aus der neuen Stadt. Ich bin eine Tallerin«, antwortete sie wahrheitsgemäß. Was brachte es auch zu lügen? So oder so – ihr Schicksal war nicht länger in ihrer Hand.
    Atemlos wartete sie auf eine Reaktion der Frau, die aber nur aus dem Fenster sah, während sie abwesend eine Locke um ihren Zeigefinger wickelte. »Neue Stadt«, widerholte sie schließlich nachdenklich.
    Verwundert sah Marje, wie sie sich abwandte und zu ihrem Lehnstuhl zurückkehrte, um sich dort in eine weiche Decke zu kuscheln. Einige Strähnen rutschten aus dem Zopf, den sie im Nacken locker zusammengefasst hatte. »Wo ist Miro?«, fragte sie leise. Dann schüttelte sie den Kopf. »Pssst«, flüsterte sie verschwörerisch. »Wir werden schweigen, nicht wahr?«
    Marje zuckte zusammen. Was redete die Frau da? War das alles nur ein abgekartetes Spiel, das der Prinz sich ausgedacht hatte, um seinen Spaß zu haben?
    Die Frau zog die Beine an, schlang die Arme um die Knie, legte den Kopf darauf und begann, leicht vor und zurück zu schaukeln. »Wo ist Miro?«, wiederholte sie leise, fast flehend. Trotz der fast weißen Strähnen in ihrem Haar und der Falten im Gesicht sah sie plötzlich wie ein Kind aus, das seine Eltern verloren hat und nun nach ihnen fragte.
    Marje schluckte. Plötzlich war ihr der Appetit wieder vergangen und der Saft, der ihr eben noch so unendlich süß erschienen war, schmeckte auf einmal bitter. »Warum fragst du?«, wollte sie wissen.
    Die Frau schluckte, dann kullerten Tränen aus ihren Augen und rannen über die blassen Wangen. »Miro«, wimmerte sie.
    Marje stand wie erstarrt. Noch immer hielt sie das Brot in der Hand. »Ist ja gut«, versuchte sie die Frau zu beruhigen, die nun heftig zu

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