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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bargmann
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erwähnt. Eigentlich sagte sie immer die gleichen Dinge, redete von Miro oder ihrem Kind. Aber dass ihr auf einmal ein Name aus der Vergangenheit einfiel, das sah ihr nicht ähnlich.
    In der Stimme der Frau lag plötzlich Angst. »Miro, ich hab nichts verraten! Das Geheimnis ist bei mir sicher!«
    »Welches Geheimnis, Mutter?«
    Plötzlich blitzten ihre Augen auf, blau wie der Himmel. Dann beugte sie sich wieder über ihren Kranz. Ihre langen Haare fielen in ihr Gesicht und verbargen den Ausdruck darin. »Mein Kiyoshi«, verfiel sie wieder in ihren üblichen Singsang, doch etwas darin klang anders als sonst. »Wenn du die weiße Lilie findest …«, murmelte sie und griff eifrig nach einer neuen Blume, um den Kranz weiterzuflechten, »… dann findest du auch das Geheimnis.«

10. Kapitel
    M arje zog sich keuchend durch den schmalen Spalt in der Palastmauer, der von den üppigen Gewächsen mit den großen Dornen fast vollständig zugewuchert war. Erst hatte sie gedacht, dass sich hier nur ein kleines Kind würde durchquetschen können, aber schließlich war es ihr gelungen, zerkratzt und zerschrammt auf die andere Seite zu gelangen.
    In ihrem Kopf wirbelten die Fragen und ihr Herz schmerzte in einer Weise, dass sie es kaum noch ertragen konnte, doch das, was jetzt zählte, war einzig und allein, dass sie entkam. Das war sie Milan schuldig.
    Sie warf einen letzten Blick durch die Mauerritzen auf die Gärten des Palastes. Die Idylle kam ihr trügerisch vor, wie ein Vorhang, hinter dem sich Geheimnisse verbargen, von denen sie nicht einmal ahnte, wie bedeutungsvoll sie waren.
    Ihr Blick glitt zur anderen Seite der Mauer. Kiyoshi hatte recht behalten, sie war in einer Seitengasse gelandet – eine schmale Hilfsstraße für die Dienstboten, die Waren für die angrenzenden Herrenhäuser anlieferten.
    Etwas weiter vorn entdeckte sie ein Fuhrwerk, das von vier Grions gezogen wurde, doch der Kutscher achtete nicht auf sie – er war viel zu sehr damit beschäftigt, seine Tiere zu bändigen, die sich in der Enge der Stadt sichtlich unwohl fühlten.
    Marje wandte sich in die entgegengesetzte Richtung und rannte los.
    Ihr Arm schmerzte noch immer, dort, wo sich die Finger der Frau in ihre Haut gegraben hatten, so gewaltsam, dass Marje geglaubt hatte, den Griff nicht lösen zu können. Fast hätte sie aufgeschrien, als die Frau sie so überraschend fest gepackt und in das Zimmer zurückgezogen hatte, nachdem der Prinz ihr den Fluchtweg gezeigt hatte und selbst durch die Vordertür geschlüpft war.
    Doch im nächsten Moment war Marje wieder frei gewesen. Mit großen Augen hatte Kiyoshis Mutter neben ihr auf dem Boden gesessen und einen Finger an die Lippen gelegt. »Sayuri?«, hatte sie leise gefragt.
    Marje hatte nur scheu den Kopf geschüttelt. Niemals hätte sie dieser Frau diese Kraft zugetraut.
    »Du musst verschwinden«, hatte Kiyoshis Mutter flehend geflüstert. »Du musst aus der Stadt. Sie suchen dich. Sie werden dich umbringen!« Angst war in ihren geweiteten Augen zu lesen. Als wollte sie sich selbst schützen, schlang sie die Arme um ihren zitternden Körper. »Flieh«, hatte sie atemlos gebeten. »Du musst fliehen. Verlasse die Stadt!«
    Rückwärts war Marje über den Boden zur Tür gekrochen, in Richtung des Hinterausgangs, den Kiyoshi ihr gezeigt hatte.
    Die Frau ließ sie dabei keinen Moment lang aus den Augen. Erst als sie die schmale Pforte hinter sich geöffnet hatte, war Marje aufgesprungen und hinausgelaufen. Sie hatte nicht auf Soldaten geachtet, nicht auf ihre eigene Deckung – sie war einfach nur gerannt, in die Richtung, die Kiyoshi ihr angegeben hatte, und tatsächlich – am Fuß der Nordmauer fand sie den Durchschlupf, den er beschrieben hatte, und wie durch ein Wunder war ihr niemand gefolgt.
    Noch immer konnte sie es nicht fassen. Der Erbe Miros – der Prinz – hatte ihr, einer Rebellin, einer Freundin der Attentäter, bei der Flucht geholfen.
    Wütend und verunsichert biss sie sich auf die Unterlippe bei dem Gedanken an ihn. Sie verstand ihn nicht und doch war da etwas in ihr, was ihm vertrauen wollte. Er hätte genug Gründe gehabt, sie umzubringen, schließlich hatte sie ihn angegriffen und verletzt. Stattdessen hatte er das Gegenteil getan.
    Ihr Blick fiel auf den Ring an ihrem Daumen. Milan hatte ihn schon so lange, sie konnte sich nicht daran erinnern, ihn jemals ohne diesen Ring gesehen zu haben. Jetzt würde er ihn nie wieder tragen. Sie schluckte schwer. Der Gedanke, dass sie Milan nie

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