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Sayuri

Sayuri

Titel: Sayuri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bargmann
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schluchzen begann. Hilflos ging sie zu ihr und griff nach ihrer Hand, die viel zu blass und hager für eine Frau ihres Alters war. Marje hatte das Gefühl, jeden Knochen, jede Sehne und Ader spüren zu können.
    »Miro«, wiederholte die Frau nur wimmernd. »Ich hab doch nichts gesagt.«
    In dem Moment wurde die Tür aufgestoßen. Marje sprang zurück und schaute sich nach einem schützenden Versteck um.
    »Ich bin es nur«, beruhigte Kiyoshi sie. Mit einem Blick auf die Frau stieß er einen Seufzer aus und stellte die schmale Kiste, die er getragen hatte, neben sie auf den Boden.
    »Miro!«, rief die Frau aus, sprang auf und zog den Jungen in ihre Arme.
    Überrascht beobachtete Marje den hochgewachsenen Prinzen, der teils genervt, teils aber auch ein wenig beschämt wirkte. Die Frau beruhigte sich nur langsam, während Kiyoshi sanft ihren Rücken streichelte und ihr leise zuredete.
    Verstohlen musterte Marje Kiyoshis Gesicht. Wie Miro siehst du aber nicht gerade aus, stellte sie fest. Auch wenn er die gleichen dunklen Haare hatte und vielleicht auch ein ähnlich kantiges Gesicht.
    »Ich hab dir etwas mitgebracht«, riss der Prinz Marje aus ihren Gedanken und deutete auf die Kiste.
    Während er die Frau zu ihrem Stuhl brachte und sie in ihre Decke wickelte, warf Marje einen Blick in die Kiste.
    »Gut geschlafen?«, fragte er sie, ohne zu ihr aufzusehen. Marje fiel auf, dass er ihren Blick mied.
    »Gut geschlafen?«, echote sie und spürte, wie Wut in ihr hochkochte. »Wo ist Milan? Warum hältst du mich hier fest? Und was hast du überhaupt jetzt vor? Was ist das für ein krankes Spiel?«
    »Ich halte dich nicht fest, du kannst gehen, wann immer du willst, wenn du den Wachen in die Arme laufen willst. Und ein Spiel ist das nicht. Wer ist Milan?« Fragend sah er sie an, müde und unendlich erschöpft, nicht, als hätte der Tag eben erst begonnen.
    Marje ließ sich auf den Stuhl am Fenster sinken. Seine Worte nahmen ihrer Wut alle Kraft.
    Er hatte sie gerettet, auch wenn sie seine Beweggründe dafür nicht kannte. Oder zumindest sah es aus, als hätte er sie gerettet.
    »Was ist dadrin?«, fragte sie mit einem Kopfnicken auf die Kiste und räusperte sich, als sie bemerkte, wie heiser ihre Stimme klang.
    Kiyoshi schob ihr die Kiste mit dem Fuß zu. »Tut mir leid«, sagte er nur und ging ein paar Schritte zurück, als wäre er sich nicht sicher, wie sie reagieren würde.
    Marje blickte auf die Kiste hinab, unsicher, ob sie tatsächlich wissen wollte, was sie verbarg. Fast Hilfe suchend sah sie zu der Frau, die in ihrem Stuhl vor und zurück wippte, den Blick träumerisch in die Ferne gerichtet. »Was ist mit ihr?«, fragte Marje, unschlüssig, ob sie leise sprechen sollte, damit die Frau sie nicht hörte.
    »Sie ist in ihren Träumen gefangen«, antwortete Kiyoshi. Der Unterton in seiner Stimme verriet Marje, dass sie besser nicht weiterfragen sollte.
    Marje schluckte. Mit zitternden Händen sank sie vor der Kiste auf die Knie, öffnete die Scharniere und hob den Deckel vorsichtig an, klappte ihn nach hinten, bis ein Mechanismus ihn in der Senkrechten hielt. Auf dem dunklen Holzboden lag ein zusammengefaltetes Tuch. Darauf hatte jemand zwei Dolche, einige Armreife und einen Ring gebettet. Wie erstarrt blickte sie auf den Ring, unfähig sich zu bewegen.
    »Es tut mir leid«, widerholte Kiyoshi nur.
    Marje spürte, wie Tränen über ihre Wangen liefen, aber in sich fühlte sie nur lähmende Leere. »Ist er … Sind sie tot?«, fragte sie tonlos. Vorsichtig streckte sie eine Hand nach dem Ring aus, hielt das kalte Metall zwischen ihren Fingern.
    »Hat das ihm gehört? Hat das … Milan gehört?«, fragte Kiyoshi leise.
    Marje schluchzte auf. Seine Antwort sagte ihr alles. Es war vorbei.
    »Wie … wann …«, stammelte sie.
    »Ich komme eben von dem Ort, der die Welt verschlingt«, sagte Kiyoshi zögernd.
    Marje schloss die Augen. Sie wusste nur zu gut, was er damit sagen wollte. Die Attentäter waren hingerichtet worden. Wäre sie doch schneller gewesen!
    »Kiyoshi!«, herrschte plötzlich die Frau den Prinzen laut an.
    Marje drehte sich wie betäubt zu ihr um. Die Frau war aufgestanden, aber der wache Ausdruck in ihren Augen verschwand so rasch, wie er gekommen war. Verwirrt sah sie zwischen den beiden hin und her und hob die Schultern, als würde sie frieren. »Was ist denn los?«, fragte sie.
    Kiyoshi versuchte sie anzulächeln, aber der Versuch scheiterte kläglich. »Schon gut«, erwiderte er bedrückt. »Ist alles

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