Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
Bilder in meinem Gedächtnis viel zu lebendig.
Wie soll ich das bloß erklären, wenn man mein Mobiltelefon in der Bibliothek findet, an einem Ort, an dem scheinbar Vandalen gewütet haben, mit den umgeworfenen Regalen und den stinkenden Flecken wie von verbranntem Öl?
Sicher, ich könnte einfach die Wahrheit sagen. Dass ein gesichtsloses Monster mit zwei roten Abgründen anstelle der Augen versucht hat, mich umzubringen. Und dass der Bassist der beliebtesten Band an der Schule sich in ein Geschöpf mit Fledermausflügeln verwandelt hat, um mich zu retten.
Mikael hat mich gebeten, alles zu vergessen. Ihr Schicksal sei in meinen Händen. Doch wer sind sie ?
»Ich konnte doch nicht zulassen, dass dir etwas passiert.« Also liegt ihm etwas an mir! Aber wer hat versucht, mich umzubringen?
Zwei Dinge weiß ich ganz sicher: dass die Bibliothek der Mittelpunkt dieses Rätsels ist und dass Edoardo möglicherweise aus demselben Grund ermordet wurde, aus dem ich angegriffen wurde, und dass ich keine Ahnung habe, wie mein Angreifer aussieht, während er ganz genau weiß, wer ich bin.
Aber wer ist Mikael eigentlich? Es gibt keine logische Erklärung dafür, dass ihm auf dem Rücken zwei Fledermausflügel gewachsen sind. Es sei denn … Vielleicht war ich einfach so erschrocken wegen des plötzlichen Angriffs, dass meine Angst meine Wahrnehmung verzerrt hat.
Storm in the morning … How can it feel this wrong, from this moment. Der Song von Portishead klingt wie eine Warnung. Ob Mikael in Gefahr ist? Vielleicht ist das Monster zurückgekommen, nachdem er mich gerettet hat, und …
Nein, daran darf ich nicht einmal denken!
»Machen wir einen Spaziergang?« Marcos Stimme lässt mich mit einem kleinen Aufschrei zusammenfahren. Ich drehe mich zu ihm um und werfe ihm einen vernichtenden Blick zu.
»Hatte ich dir nicht gesagt, dass du anklopfen sollst, bevor du mein Zimmer betrittst?«
Enttäuscht schleicht er davon. Ja, ich weiß, ich sollte ihm mehr Zeit widmen, aber im Moment geht in meinem Kopf alles so durcheinander, dass ich es nicht einmal schaffe, mich um mich selbst zu kümmern.
53
S carlett, vielleicht solltest du heute lieber nicht in die Schule gehen. Ich möchte nicht, dass du Fieber bekommst.« Ich muss wirklich schlecht aussehen, wenn Simona sich an einem Montagmorgen so verständnisvoll zeigt.
Ich schleppe mich nach oben. Das Bett ist eine bequeme Zuflucht für meinen geschundenen Körper, aber mein Verstand rast mit Überschallgeschwindigkeit durch Erinnerungen, Fantasien und Ängste.
Das Telefon schrillt. Es klingt bedrohlich. Ich habe Angst. Ein paar lange Augenblicke halte ich die Luft an, weil ich mir voller Panik vorstelle, es könnte die Polizei sein. Frau Castoldi, wir haben das Handy Ihrer Tochter am Schauplatz eines Verbrechens gefunden …
Erleichtert seufze ich auf. Es ist nur einer von diesen Werbeanrufen.
Ich versuche zu schlafen, doch das ist völlig unmöglich. Aber ich möchte die Läden nicht schließen, weil ich mich vor der Dunkelheit fürchte.
Minuten werden zu Stunden, und aus einem halbwegs sonnigen Morgen wird ein düsterer Nachmittag.
Dring! Wieder das Telefon.
»Einen Moment, sie liegt im Bett … Ich bringe jetzt das schnurlose Telefon zu ihr … Bitte noch etwas Geduld.« Meine Mutter kommt in mein Zimmer und gibt mir das Telefon. Mit zitternder Hand nehme ich es entgegen. Ich wage nicht zu fragen, wer es ist, aber mein Gesicht muss Bände sprechen.
»Hallo, Scarlett, ich bin’s! Bist du krank?« Genzianas Stimme dröhnt laut wie eine Trompete in meinen Ohren.
»Ach, du bist es …«
»Wer sonst, was hast du denn gedacht?«
»Ach, niemand, das habe ich nur so gesagt … Ich fühle mich nicht besonders toll, aber es ist nichts Schlimmes.«
»In Ordnung, hab schon verstanden. Was tut man nicht alles, um einen Tag Schule zu schwänzen. Ich rufe dich an, weil es Neuigkeiten gibt.« Gespannt warte ich und bin sehr dankbar, dass ich gerade im Bett liege, sonst würden jetzt meine Beine versagen.
»Worauf wartest du noch?«, dränge ich sie.
»Ich wollte dich nur ein wenig auf die Folter spannen … Also, Samstag Nacht sind irgendwelche Typen in die Bibliothek eingebrochen. Die sollen vielleicht gehaust haben, wie die Vandalen! Sie haben jede Menge kaputt gemacht, aber man weiß nichts Genaues. Die gute Nachricht ist, dass heute Italienisch ausfiel, weil es eine außerplanmäßige Lehrerkonferenz gab. Du kannst dir ja vorstellen, wie glücklich wir darüber
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