Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
zählt nur eins: Mikael ist an meiner Seite. Ich möchte nur mein Herz sprechen lassen.
Ich keuche vor Anstrengung, die Steigung wird immer steiler. Er zeigt kein Anzeichen von Erschöpfung.
»Schaffst du es?«, fragt er mich.
Als Antwort stolpere ich über einen vorspringenden Stein.
Er lässt meine Hand los, und ich fühle mich verloren, aber nur für diesen einen Augenblick.
Da legt er auch schon einen Arm um meine Taille und hilft mir, indem er mich sanft vorwärtsschiebt.
Jetzt fehlt nicht mehr viel. Das Ziel ist nah. Dieses Mal komme ich mir wirklich wie die Heldin aus einem Märchen vor, doch der Turm, der sich vor uns erhebt, ist nicht mein Gefängnis, sondern das Ziel all meiner Wünsche.
55
H ast du keine Angst vor mir?«
»Wie könnte ich vor dir Angst haben?«, würde ich ihm am liebsten sagen. Doch ich bringe diese Worte nicht über die Lippen. Stattdessen drücke ich ihn fest an mich, in einer Umarmung, die niemals enden soll.
Mikael streichelt mir über die Haare, und einen Moment lang habe ich das Gefühl, vor Glück zu sterben.
Im Schatten der Ruine tauschen wir einen Blick, der ein Versprechen scheint. Aber er ist zu kurz.
Mikael wendet sich von mir ab und entfernt sich ein wenig. Er setzt sich auf einen Stein und starrt auf die wundervolle Landschaft, die sich unter uns ausbreitet. Ich schaue lieber nach oben in den Sternenhimmel. Von hier aus, fern von den Lichtern der Stadt, ist er ein wunderbarer Anblick. Ich würde Mikael gern fragen, was nicht stimmt, warum er jedes Mal, wenn er sich mir nähert, gleich darauf das Bedürfnis hat, sich zu entfernen. Aber die Gefühle sind zu stark und ich bin zu schwach, um damit umzugehen.
»Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Das, was ich dir sagen will, ist schwer zu verstehen.«
»Du kannst es versuchen. Ich bin für dich da.«
»Die Wirklichkeit entspricht nicht dem äußeren Schein. Oder besser gesagt, es gibt nicht nur diese Wirklichkeit. Es gibt noch eine andere Welt unter der Erdoberfläche. Eine Welt, die bewohnt ist von …«, er beendet den Satz nicht. Da gibt es etwas, das er mir nicht zu sagen wagt. Vielleicht hat er Angst, mich zu verstören, nach allem, was passiert ist.
Bei einer Welt unter der Erdoberfläche muss ich sofort an das Bild denken, das man uns in der Schule von der Hölle vermittelt hat. Dante, wie er auf der Suche nach Wahrheit von einem Höllenkreis zum nächsten schreitet.
»Na ja, es ist zwar nicht genau so, aber es ist eine gute Möglichkeit, um eine Vorstellung davon zu bekommen. Vielleicht fällt es mir so leichter, dir zu erklären, wie es funktioniert.«
»Dann kannst du also wirklich meine Gedanken lesen!«
»Nicht immer. Manchmal sind sie so intensiv, dass sie mich erreichen. Aber das klappt nicht bei allen Menschen. Manche sind ganz einfach zu verstehen, andere sind sehr komplex, reich an Zwischentönen. So wie du, Scarlett.«
»Willst du mir sagen, dass es den Teufel gibt und …«
»Es gibt Dämonen, und meine Aufgabe ist es, sie daran zu hindern, den Pakt zu brechen und in diese Welt zu kommen.«
»Den Pakt?«
»Vor Urzeiten, als Schamanen und weise Priester über die Erde herrschten, wurde nach einer langen Periode voller Chaos der Pakt besiegelt. Seitdem ist es den Dämonen verboten, die Welt der Menschen zu betreten. Ihre Spuren überleben nur noch in Legenden, die seit Jahrtausenden überliefert werden.«
»Und was hast du damit zu tun?«
Er schaut mir nicht in die Augen. Scheint zu zögern.
»Ich bin ein Wächter. Durch meine Adern fließt menschliches Blut, aber auch das von Dämonen, deswegen kann ich gegen sie kämpfen. Aber das ist auch der Grund, warum ich mit aller Kraft versucht habe, mich von dir fernzuhalten. Jeden Tag aufs Neue muss ich gegen meine dunkle Seite ankämpfen, die jeden Moment die Oberhand gewinnen könnte. Ich muss ganz bewusst alles vermeiden, was meinen logischen Verstand trüben könnte. Und da stehst du in meiner persönlichen Liste an oberster Stelle. Ich habe versucht, mich gegen meine Gefühle zu wehren, Scarlett, aber ich schaffe es nicht.«
Ich komme näher, setze mich neben ihn und nehme seine Hand. Ich führe sie an meine Lippen und küsse sie.
»Ich habe keine Angst vor dir«, sage ich leise.
»Ich bin machtlos dagegen, verstehst du? Das ist mein Wesen …« Er springt auf und geht weg.
»Und deine Familie?«
»Meine Familie ist bei einem Flugzeugunglück umgekommen, als ich noch klein war.«
»Das tut mir leid.«
»Im Leben eines
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