Scarpetta Factor - Thriller
der vom Eisenmann aus Der Zauberer von Oz dringend geölt werden, denn es war so kalt, dass er allmählich Schwierigkeiten beim Reden bekam.
»Ein leeres Sprachmodul, optimal geeignet für eine Grußkarte.« Lobo zeigte Marino das Aufnahmegerät. »Diese Dinger werden von Leuten verwendet, die ihre Grußkarten selbst basteln. Ein Stromkreis mit Lautsprecher. Vorgefertigter Schalter zum automatischen Abspielen, was Sinn und Zweck der Sache ist. Der Kontakt mit dem Schalter schließt den Stromkreis und löst die Bombe aus. Kann man überall bestellen, was viel einfacher ist, als so etwas zu bauen.«
Droiden pflückte Bombenteile aus der nassen, schmutzigen Masse in der Grube. Im nächsten Moment stand sie auf, ging zu Marino und Lobo hinüber und hielt ihnen die in einem Nitrilhandschuh steckende Handfläche hin, auf der einige silberne, schwarze und dunkelgrüne Scherben aus Plastik und Metall lagen. Dann ließ sie sich von Lobo das intakte Aufnahmemodul geben und begann zu vergleichen.
»Eine mikroskopische Untersuchung wird es bestätigen«, sagte sie, aber es war klar, was sie meinte.
»Eine Art Aufnahmegerät«, erwiderte Marino und hielt seine großen Hände um ihre, um die Scherben vor dem Wind zu schützen. Am liebsten wäre er noch länger so dicht bei ihr stehen geblieben. Es spielte keine Rolle, dass er die ganze Nacht auf den Beinen gewesen war und sich allmählich in einen Eisblock verwandelte. Er fühlte sich trotzdem warm und hellwach. »Mein Gott, stinkt das! Und was ist das da? Hundefell?« Mit einem Gummifinger tippte er auf einige lange, derbe Haare. »Was hat denn das Hundefell zu bedeuten?«
»Offenbar war die Puppe mit Fell ausgestopft. Es könnte Hundefell sein«, entgegnete sie. »Jedenfalls weist die Bauarteindeutige Übereinstimmungen auf. Der Schaltkreis, der Kippschalter, der Aufnahmeknopf und der Lautsprecher mit Mikro.«
Lobo betrachtete die Weihnachtskarte und drehte sie um, um die Rückseite zu betrachten.
»Made in China. Recylingpapier. Also eine umweltfreundliche Weihnachtsbombe. Wie nett«, verkündete er.
19
Scarpetta zog den offenen Koffer über den Boden. Die neunundzwanzig Faltordner darin wurden von Gummibändern zusammengehalten und waren mit weißen Aufklebern versehen. Die mit der Hand geschriebenen Daten darauf verrieten, dass sie über sechsundzwanzig Jahre zurückreichten. Den Großteil von Warner Agees beruflicher Laufbahn.
»Was, denkst du, würde Jaime über dich sagen, wenn ich mit ihr sprechen würde?«, hakte sie nach.
»Das ist einfach. Dass ich nicht mehr ganz dicht bin.« Lucy war zornig.
Manchmal geriet sie so plötzlich und heftig in Rage, dass Scarpetta die Wut regelrecht aufblitzen sah.
»Ständig bin ich sauer und will jemandem wehtun«, fügte Lucy hinzu.
Offenbar hatte Agee viel von seiner persönlichen Habe ins Hotel Elysée mitgenommen, Dinge, die ihm wichtig waren. Scarpetta griff nach dem neuesten Ordner und setzte sich, ihrer Nichte zu Füßen, auf den Teppich.
»Warum willst du jemandem wehtun?«, fragte sie.
»Um mir zurückzuholen, was mir weggenommen worden ist, verdammt! Um mich zu befreien und eine zweite Chance zu bekommen, damit ich nie wieder zulasse, dass mir so etwas angetan wird. Weißt du, was das Schreckliche ist?« Lucys Augen funkelten. »Es ist entsetzlich, zu dem Schluss zu kommen, dass es Leute gibt, die man skrupellos vernichten und umbringen darf. Wenn man es sich vorstellt und Pläne schmiedet, ohne auch nur die Spur von Reue zu empfinden. Man fühlt einfach nichts. So wie er vermutlich auch.« Sie wies in den Raum hinein, als wäre Warner Agee noch da. »Gefühllosigkeit führtdazu, dass es zum Schlimmsten kommt. Dann tut man nämlich etwas, das sich nicht mehr rückgängig machen lässt. Es ist eine entsetzliche Erkenntnis, dass man sich eigentlich nicht von den Arschlöchern unterscheidet, die man verfolgt und vor denen man seine Mitmenschen schützen will.«
Scarpetta entfernte das Gummiband von dem Ordner, der offenbar der zuletzt angelegte war. Die ersten Unterlagen stammten vom 1. Januar dieses Jahres, das Ende war offen.
»Du bist aber nicht wie sie«, widersprach sie.
»Jedenfalls kann ich es nicht rückgängig machen«, wandte Lucy ein.
»Was kannst du nicht rückgängig machen?«
Die sechs Fächer des Ordners waren mit Papieren, Quittungen, einem Scheckbuch und einer Brieftasche aus braunem Leder vollgestopft, die vom jahrelangen Herumgetragenwerden in der Gesäßtasche blank gewetzt war.
»Das,
Weitere Kostenlose Bücher