Scarpetta Factor - Thriller
was ich getan habe.« Lucy holte tief Luft und unterdrückte die Tränen. »Ich bin ein schlechter Mensch.«
»Nein, bist du nicht«, protestierte Scarpetta.
Agees Führerschein war vor drei Jahren abgelaufen. Seine MasterCard war nicht mehr gültig. Das Gleiche galt für seine Visa-Karte und die von American Express.
»Bin ich doch«, beharrte Lucy. »Du weißt ja, was ich angerichtet habe.«
»Du bist kein schlechter Mensch. Da bin ich ganz sicher, obwohl ich über deine Vergangenheit im Bilde bin. Vielleicht nicht vollständig, allerdings ziemlich gut«, erwiderte Scarpetta. »Du warst beim FBI, bei der ATF und wie Benton an so vielen geheimen Aktionen beteiligt, die du nicht verhindern konntest und über die du nicht sprechen durftest. Vermutlich bis heute nicht. Natürlich bin ich mir dessen bewusst, und es ist mir auch klar, dass es im Dienst und aus vernünftigen Gründen geschehen ist. Wie bei einem Soldaten an der Front.Polizisten sind eigentlich nichts anderes als Soldaten und müssen manchmal die Grenzen der Normalität überschreiten, damit wir Durchschnittsbürger ein ruhiges Leben führen können.«
Sie zählte vierzehnhundert Dollar in bar, alles in Zwanzigdollarscheinen, als hätte er sie gerade aus dem Geldautomaten gezogen.
»Wirklich?«, fragte Lucy. »Was ist dann mit Rocco Caggiano?«
»Was wäre mit seinem Vater Pete Marino geschehen, wenn du ihm nicht zuvorgekommen wärst?« Scarpetta kannte, was die Vorgänge in Polen betraf, keine Einzelheiten und wollte sie auch nicht hören. Allerdings hatte sie Verständnis für die Beweggründe. »Rocco gehörte zu einer organisierten Verbrecherbande und hätte ihn getötet. Der Plan stand schon fest. Du hast ihn vereitelt.«
Sie suchte nach Quittungen für Lebensmittel, Kosmetikartikel und Fahrten und fand eine ganze Menge davon – Hotels, Läden und Taxiunternehmen, alle in Detroit, Michigan, und bar bezahlt.
»Ich wünschte, ich hätte es nicht selbst erledigt, sondern jemand anderen geschickt. Immerhin habe ich seinen Sohn auf dem Gewissen. Ich habe so viel getan, was sich nicht rückgängig machen lässt«, beharrte Lucy.
»Können wir überhaupt etwas rückgängig machen? Das ist doch nur eine hohle Phrase, mit der die Menschen ständig um sich werfen, obwohl es in Wirklichkeit unmöglich ist«, entgegnete Scarpetta. »Wir haben nur die Chance, uns mit dem Schaden, den wir angerichtet haben, abzufinden, die Verantwortung dafür zu übernehmen, uns zu entschuldigen und zu versuchen, nach vorn zu schauen.«
Sie sortierte den Inhalt des Faltordners auf dem Boden zu Häufchen, um festzustellen, was Agee an seinem Leben für aufbewahrenswertgehalten hatte. Ein Umschlag mit eingelösten Schecks war dabei. Im letzten Januar hatte er mehr als sechstausend Dollar für zwei Hörgeräte, Modell Siemens Motion 700, plus Zubehör, ausgegeben. Seine alten Hörgeräte hatte er einer Organisation für Hilfsbedürftige gespendet und dafür eine Quittung erhalten. Kurz darauf war er Kunde bei einem Internetanbieter geworden, der Telefonate zeitgleich am Bildschirm in Schrift umwandelte. Von Auszahlungsbelegen oder Bankunterlagen, die darauf hingewiesen hätten, woher er sein Geld bezogen hatte, fehlte jede Spur. Scarpetta förderte einen braunen Umschlag mit der Aufschrift IPP zutage, der von Rundbriefen, Tagungsprogrammen und Zeitschriftenartikeln, alles auf Französisch, überquoll. Es waren auch weitere Quittungen und Flugtickets dabei. Im Juli 2006 war Agee in Paris gewesen, um an einem Kongress am Institut für paranormale Psychologie teilzunehmen.
Scarpetta sprach zwar nicht gerade fließend Französisch, konnte es aber ziemlich gut lesen. Sie überflog den Brief eines Ausschussmitglieds des Projekts zur Förderung des globalen Bewusstseins. In seinem Schreiben dankte der Mann Agee für seine Bereitschaft, einer Debatte zum Thema »Der Einsatz wissenschaftlicher Methoden zum Nachweis von Strukturen in willkürlich ausgewählten Daten im Zusammenhang mit global wirksamen Großereignissen wie den Anschlägen vom 11. September« beizuwohnen. Außerdem freue er sich auf ein Wiedersehen mit Agee und frage sich, ob seine Forschungsarbeit im Bereich Psychokinese immer noch auf mangelnde Resonanz stoße. Selbstverständlich liegt das Problem darin, dass es sich bei den Probanden um Menschen handelt, was rechtliche und ethische Einschränkungen mit sich bringt , übersetzte sie.
»Warum denkst du über das Töten und Sterben nach?«, fragte sie Lucy. »Wen
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