Scarpetta Factor - Thriller
lassen. Ich habe eher den Eindruck, dass Toni Darien völlig ahnungslos war und von einer Sekunde auf die andere auf dem Boden lag. Und das erscheint mir bei jemandem, der nach Einbruch der Dunkelheit joggt und vermutlich gewohnt ist, auf seine Umgebung zu achten, ziemlich ungewöhnlich. Immerhin läuft sie häufig, und zwar ohne Kopfhörer.«
»Hat sie gestern Nacht an einem Rennen teilgenommen? Was bringt Sie auf den Gedanken, dass sie niemals Kopfhörergetragen hat? Vielleicht hatte sie gestern ja welche dabei, und der Mörder hat den iPod oder Walkman gestohlen.«
»Soweit ich über ernsthafte Läufer im Bilde bin, benutzen sie keine Kopfhörer, egal ob sie nun im Wettkampf sind oder nur trainieren. Insbesondere in der Stadt. Sie brauchen nur die Augen aufzumachen. Verraten Sie mir, wie viele ernsthafte Jogger in New York Sie schon mit Kopfhörern gesehen haben. In diesem Fall würden sie nämlich abgelenkt, landen womöglich auf dem Radweg, werden versehentlich von einem Auto überfahren oder von hinten überfallen.«
»Joggen Sie?«
»Jetzt passen Sie mal gut auf. Ich habe keine Ahnung, was Sie mir hier offenbar verschweigen, doch ich schließe aus dem, was ich vor meiner Nase habe, dass wir mit vorschnellen Urteilen vorsichtig sein sollten, solange wir einen Scheißdreck wissen«, gab Marino zurück.
»Ganz Ihrer Ansicht. Dasselbe versuche ich Ihnen ebenfalls klarzumachen, P. R. Marino.«
»Wofür ist L. A. die Abkürzung?«
»Nur für eine Stadt in Kalifornien. Wenn Sie mich also nicht mit Bonnell oder mit Arschloch ansprechen wollen, nennen Sie mich L. A.«
Marino schmunzelte. Möglicherweise war sie ja doch nicht so schlimm. »Ich sage Ihnen was, L. A.«, antwortete er. »Ich wollte in ein paar Minuten ins High Roller Lanes fahren. Warum treffen wir uns nicht dort? Bowlen Sie?«
»Ich glaube, dazu muss man einen IQ unter sechzig haben. Sonst leihen sie einem keine Schuhe.«
»Eher siebzig. Und ich bin ziemlich gut«, erwiderte Marino. »Außerdem habe ich meine eigenen Schuhe.«
3
Scarpetta wunderte sich nicht, dass Marino heute versucht hatte, sie zu erreichen. Sie hatte zwei Nachrichten von ihm auf der Mailbox, und vor wenigen Minuten hatte er ihr eine SMS geschickt, wie immer gespickt mit Tippfehlern, nicht zu entziffernden Abkürzungen und unter völliger Missachtung von Zeichensetzung oder Groß- und Kleinschreibung, sofern sein BlackBerry die Korrektur nicht automatisch vornahm. Er war noch nicht dahintergekommen, wie man Symbole und Abstände einfügte. Vielleicht war es ja auch nur Faulheit.
berger vereist du nicht errbar aber zurück heute nachmitag will erg fall darien und ich habe auch was und vile fragen ruf an
Offenbar wollte Marino Scarpetta daran erinnern, dass Jaime Berger verreist war. Ja, das wusste Scarpetta bereits. Wenn Berger heute Abend nach New York zurückkehrte, hieß es weiter in Marinos Hieroglyphen, würde sie die Autopsieergebnisse sehen und alles über die Beweismittel wissen wollen, die Scarpetta sichergestellt hatte. Schließlich war Bergers Abteilung für Sexualverbrechen für diesen Fall zuständig. Weiterhin deutete Marino an, er habe Informationen und Fragen, und bat um Rückruf. Auch gut, denn sie hatte ihm eine Menge zu sagen.
Auf dem Weg in ihr Büro versuchte sie, seine SMS zu beantworten, und ärgerte sich wieder einmal über das BlackBerry, das Lucy ihr vor zwei Wochen geschenkt hatte. Es war eine mit Bedacht ausgewählte und großzügige Überraschung gewesen, allerdings in Scarpettas Augen ein Trojanisches Pferd, also etwas, das man anderen Leuten in den Garten schob, damites ihnen Schwierigkeiten machte. Ihre Nichte hatte beschlossen, dass Berger, Marino, Benton und Scarpetta das gleiche Wunderwerk auf dem neuesten Stand der Technik besitzen sollten wie sie selbst. Außerdem hatte sie sich sogar die Mühe gemacht, einen eigenen Server einzurichten, etwas, das sie als Zwei-Wege-authentifiziertes Umfeld mit dreifacher Datenverschlüsselung und Firewall bezeichnete.
Das neue Gerät verfügte über Touchscreen, Kamera, Videorecorder, GPS, Abspielmodus, SMS-Funktion – mit anderen Worten, über mehr multimediale Fähigkeiten, als Scarpetta Zeit und Lust hatte, sie zu ergründen. Bis jetzt war ihr Verhältnis zu dem Smartphone gespannt, und sie war zudem inzwischen sicher, dass es ihr intellektuell überlegen war. Sie blieb stehen, um mit den Daumen auf dem LCD-Display etwas einzutippen. Jeder zweite Buchstabe musste gelöscht und neu
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