Scarpetta Factor - Thriller
eingegeben werden, denn im Gegensatz zu Marino verschickte sie keine Nachrichten, die von Fehlern strotzten.
Rufe dich später an. Besprechung mit dem Chef. Wir haben Probleme. Die Sache stockt.
Ausführlicher wollte sie nicht werden, da sie SMS stark misstraute, aber zunehmend nicht darum herumkam, welche zu verschicken, weil es heutzutage jeder tat.
In ihrem Büro stank es ekelerregend nach Cheeseburger und Pommes. Ihr Mittagessen war offenbar nur noch von archäologischem Interesse. Nachdem sie den Karton weggeworfen hatte, stellte sie den Papierkorb vor die Tür und schloss die Jalousien der Fenster mit Blick auf die Granitstufen vor dem Eingang zur Gerichtsmedizin. Hier saßen häufig die Angehörigen und Freunde der Patienten, die in diesem Gebäude endeten, wenn sie es nicht aushielten, in der Vorhalle zu warten. Scarpettahielt inne und sah zu, wie Grace Darien hinten in einem schmutzigen weißen Dodge Platz nahm. Sie zitterte zwar nicht mehr am ganzen Leibe, wirkte aber immer noch verwirrt und stand offenbar unter Schock.
Beim Anblick der Leiche war sie beinahe ohnmächtig geworden. Scarpetta hatte sie zurück ins Zimmer für die Angehörigen gebracht, eine Weile bei ihr gesessen, ihr eine Tasse Tee gekocht und sie getröstet, so gut sie konnte, bis sie sicher war, dass die trauernde Frau es bis zum Auto schaffen würde. Scarpetta machte sich Sorgen um Mrs. Dariens Zukunft und hoffte, die Freundin, die sie hergefahren hatte, würde noch ein bisschen bleiben, damit sie nicht allein war. Vielleicht würden sich die Kollegen im Krankenhaus ja um sie kümmern und ihre Söhne schon früher als geplant nach Islip kommen. Möglicherweise würde es ihr und ihrem Exmann ja auch gelingen, den Streit über die Bestattung der sterblichen Überreste ihrer ermordeten Tochter beizulegen, sich, was ihre Habe anging, zu einigen und zu dem Schluss zu kommen, dass das Leben zu kurz war, um es mit Hass und Groll zu vergeuden.
Scarpetta setzte sich an ihren Schreibtisch, eigentlich ein improvisierter Arbeitsplatz aus drei zusammengeschobenen Tischen. Daneben standen zwei Aktenschränke aus Metall, auf denen Drucker und Fax thronten. Hinter ihr befand sich der Tisch mit ihrem Olympus-BX41-Mikroskop, das mit einer Glasfaser-Lichtquelle und einer Videokamera verbunden war. So konnte sie Objektträger und Beweisstücke auf einem Bildschirm betrachten und die Bilder gleichzeitig elektronisch speichern oder auf Fotopapier ausdrucken. Einige alte Freunde wie Cecil Textbook of Medicine , Robbins Pathology , The Merck Manual , Saferstein, Schlesinger, Petraco und ein paar andere Dinge, die sie von zu Hause mitgebracht hatte, damit sie ihr Gesellschaft leisteten, hatte sie in Griffweite. Das Sektionsbesteck aus ihrer Zeit als Medizinstudentin am Johns Hopkinsund weitere Erinnerungsstücke ließen sie nicht vergessen, dass die Forensik über eine lange Tradition verfügte. Messingwaagen. Ein Mörser mit Stößel. Apothekerflaschen und Gläser. Ein Operationsbesteck aus dem Bürgerkrieg. Ein Verbundmikroskop aus dem späten achtzehnten Jahrhundert. Eine Sammlung von Polizeimützen und Abzeichen.
Scarpetta wählte Bentons Mobilfunknummer. Sofort sprang die Mailbox an, was normalerweise hieß, dass er das Telefon abgeschaltet hatte, weil er sich an einem Ort aufhielt, wo er es nicht benutzen konnte. In diesem Fall handelte es sich bei diesem Ort um den Gefängnistrakt des Bellevue, wo er als beratender forensischer Psychologe tätig war. Also versuchte sie es in seinem Büro und war erleichtert, als er sich meldete.
»Bist du immer noch dort?«, meinte sie. »Wollen wir uns ein Taxi teilen?«
»Hast du vor, mich anzubaggern?«
»Angeblich bist du leicht rumzukriegen. Aber ich brauche noch etwa eine Stunde, weil ich zuerst mit Dr. Edison reden muss. Klappt das bei dir?«
»Eine Stunde ist in Ordnung.« Er klang bedrückt. »Bei mir steht auch ein Gespräch mit meinem Chef an.«
»Ist etwas passiert?« Scarpetta klemmte den Hörer zwischen Schulter und Kinn und rief ihre E-Mails auf.
»Es könnte sein, dass ich einen Drachen töten muss.« Seine vertraute dunkle Stimme war zwar beruhigend, doch sie hörte – wie so häufig in letzter Zeit – einen Anflug von Angst und Wut heraus.
»Ich dachte, es wäre deine Aufgabe, den Drachen zu helfen. Wahrscheinlich willst du nicht darüber sprechen«, meinte sie. »Richtig«, erwiderte er.
Das sollte heißen, dass er es nicht durfte. Offenbar hatte Benton Schwierigkeiten mit
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