Scarpetta Factor
sie.
»Ms. Crispin. Gegen Viertel vor zwölf erschien sie an der Rezeption. Aber ich war noch nicht da, ich bin erst ein paar Minuten später gekommen.«
»Was wollte sie an der Rezeption, obwohl sie bereits seit Oktober hier Gast ist?«, wunderte sich Scarpetta. »Warum ist sie nicht einfach nach oben in ihr Zimmer gefahren?«
»In diesem Hotel benutzen wir Chipkarten mit einem Magnetstreifen«, erwiderte Curtis. »Sicher ist es Ihnen auch schon passiert, dass eine Karte nicht mehr funktioniert, wenn man sie eine Weile nicht benutzt hat. Jede hergestellte Karte wird im Computer vermerkt. Einschließlich des Datums, an dem sie ausgestellt wurde. Ms. Crispin hat sich zwei neue Karten anfertigen lassen.«
Das war ziemlich verwirrend. Scarpetta fragte Curtis, ob er verstünde, was er da gerade angedeutet hatte. Falls Carley einen Freund – Dr. Warner Agee – in ihrem Zimmer beherbergte, würde sie ihm doch keine abgelaufene Karte hinterlassen.
»Da er weder eingetragen ist noch die Rechnung bezahlt«, meinte sie, »ist er nicht befugt, sich eine neue Karte zu holen, wenn die alte nicht mehr funktioniert, weil das darauf eingespeicherte Gültigkeitsdatum abgelaufen ist. Also nehme ich an, dass er die Reservierung nicht selbst verlängern konnte, denn er ist ja nicht der offizielle Mieter des Zimmers.«
»Richtig.«
»Dann können wir daraus schließen, dass ihre Karte nicht abgelaufen war und dass sie sich aus einem anderen Grund zwei neue besorgt hat«, fuhr Scarpetta fort. »Wollte sie gestern Abend noch etwas an der Rezeption?«
»Warten Sie einen Moment. Ich überprüfe das.« Er förderte sein Telefon zutage und tippte eine Nummer ein. »Hatte sich Ms. Crispin ausgesperrt, oder hat sie einfach an der Rezeption um neue Karten gebeten?«, erkundigte er sich bei jemandem. »Und wenn ja, mit welcher Begründung?« Er lauschte. »Natürlich. Ja, ja, wenn Sie das gleich erledigen könnten«, sagte er. »Ich wecke ihn nur ungern.« Er wartete.
Der Mitarbeiter am Empfang, der Carley am gestrigen späten Abend bedient hatte, wurde angerufen. Vermutlich lag er zu Hause im Bett und schlief. Währenddessen entschuldigte sich Curtis wortreich bei Scarpetta für die Verzögerung. Anscheinend wurde ihm immer unbehaglicher, denn er wischte sich die Stirn mit einem Taschentuch ab und räusperte sich wiederholt. Marinos Stimme drang aus dem Zimmer auf den Flur hinaus, und Scarpetta hörte ihn auf und ab gehen. Er telefonierte, doch sie konnte nichts verstehen.
»Ja, ich bin noch dran«, erwiderte der Nachtportier. Er nickte. »Aha. Nun, das klingt plausibel.« Er steckte das Telefon in die Tasche seiner Tweedjacke. »Ms. Crispin kam herein und marschierte sofort zur Rezeption. Sie meinte, sie sei eine Weile nicht im Hotel gewesen und befürchte, ihre Chipkarte könnte nicht mehr funktionieren. Ihr Freund sei schwerhörig, weshalb sie glaube, dass er es nicht bemerken würde, wenn sie an die Tür klopfte. Sie bucht das Zimmer nämlich monatsweise und hat die Reservierung zuletzt am 20. November erneuert. Also wäre die Karte morgen, am Samstag, abgelaufen. Um das Zimmer zu behalten, musste sie also die Reservierung verlängern, was sie auch getan hat. Daraufhin hat man ihr zwei neue Karten ausgehändigt.
»Hat sie die Reservierung bis zum 20. Januar verlängert?«
»Nein, nur noch über das Wochenende. Sie sagte, sie werde das Zimmer am Montag, dem 22., aufgeben«, antwortete Curtis und starrte auf den Türspalt von Zimmer 412.
Scarpetta hörte, dass Marino sich drinnen bewegte.
»Ich habe sie nicht gehen sehen«, fügte Curtis hinzu. »Der Mitarbeiter, der am Empfang saß, als sie eintraf, hat beobachtet, wie sie mit dem Aufzug nach oben fuhr. Allerdings hat er nicht bemerkt, ob sie wieder heruntergekommen ist. Das Gleiche gilt auch für mich.«
»Dann muss sie die Treppe genommen haben«, stellte Scarpetta fest. »Denn sie ist nicht da. Ebenso wie ihr Freund, wahrscheinlich Dr. Agee. Hat Ms. Crispin Ihres Wissens in der Vergangenheit jemals die Treppe benutzt?«
»Das tun die wenigsten. Zumindest hat es nie jemand erwähnt. Einige unserer prominenten Gäste sind sehr diskret, was ihr Kommen und Gehen betrifft. Aber offen gestanden würde ich Ms. Crispin nicht als schüchtern bezeichnen.«
Scarpetta dachte an die abgeschnittenen Haare im Waschbecken und fragte sich, ob Carley beim Betreten des Zimmers einen Blick ins Bad geworfen hatte. Vielleicht war Agee ja auch noch im Zimmer gewesen, als sie erschienen war, um
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