Scarpetta Factor
sprechen möchte?« Marino gab ihr seine E-Mail-Adresse. »Außerdem müssen wir uns die Aufnahmen der Überwachungskamera anschauen. Wie ich annehme, gibt es eine an der Vorderseite des Hauses. Vielleicht sogar eine in der Nähe, sodass wir feststellen können, wer gekommen und gegangen ist. Das Beste wäre, wenn ich mich mit meinen Kontaktleuten im RTCC in Verbindung setze und sie bitte, sich direkt in diese Kamera einzuklinken.«
»Wozu soll das gut sein?« Inzwischen hörte Bonnell sich entnervt an. »Wir haben rund um die Uhr einen Polizisten vor Ort. Glauben Sie, dass der Täter sich noch einmal blicken lässt, falls die Wohnung wirklich Hinweise auf den Mord liefert?«
»Man kann nie wissen, wer Lust auf einen Spaziergang kriegt«, erwiderte Marino. »Mörder sind ein neugieriges und paranoides Völkchen. Manchmal wohnen sie sogar auf der anderen Straßenseite oder sind der nette Junge von nebenan. Alles ist möglich. Der Punkt ist, dass wir die Bilder ganz sicher kriegen und verhindern können, dass sie versehentlich gelöscht werden, wenn wir die Kamera mit dem Zentralcomputer vernetzen. Und was noch viel wichtiger ist: Berger wird die Aufnahmen sehen wollen. Außerdem interessiert sie sich bestimmt für den Bandmitschnitt, als die Person, die die Leiche gefunden hat, die Polizei verständigte.«
»Es war nicht nur einer«, antwortete Bonnell. »Einige Leute haben im Vorbeifahren angerufen, weil sie glaubten, etwas gesehen zu haben. Seitdem läutet das Telefon ununterbrochen. Wir sollten uns treffen. Da Sie offenbar nicht aufgeben, unterhalten wir uns am besten persönlich.«
»Wir brauchen außerdem Tonis Telefonunterlagen und ihre E-Mails«, sprach Marino weiter. »Hoffentlich gibt es eine logische Erklärung für das Fehlen des Telefons und des Laptops, zum Beispiel, dass sie sie bei einer Freundin gelassen hat. Dasselbe gilt für ihre Handtasche und ihre Aktenmappe.«
»Wie ich schon sagte. Wir sollten uns unterhalten.«
»Aber das tun wir doch gerade.« Marino hatte nicht vor, sich von Bonnell die Bedingungen vorschreiben zu lassen. »Vielleicht meldet sich ja jemand und sagt, Toni habe ihn besucht, sei joggen gegangen und nicht mehr zurückgekommen. Dann haben wir ihren Laptop, ihr Telefon, ihre Handtasche und ihre Aktenmappe, und ich fühle mich möglicherweise ein wenig besser. Denn im Moment geht es mir gar nicht gut. Ist Ihnen das gerahmte Foto von ihr auf dem kleinen Tisch hinter der Tür aufgefallen?« Marino trat in den Vorraum und griff danach. »Sie nimmt unter der Startnummer 343 an einem Wettlauf teil. Im Bad hängen auch welche.«
»Was soll damit sein?«, wunderte sich Bonnell.
»Auf keinem der Fotos trägt sie Kopfhörer oder einen iPod, und in ihrer Wohnung habe ich auch nichts dergleichen gefunden.«
»Und?«
»Ich will auf Folgendes hinaus«, fuhr Marino fort. »Nämlich darauf, dass Sie nicht über den eigenen Tellerrand hinausschauen. Marathonläufer und die Teilnehmer an Wettrennen dürfen nämlich keine Musik hören. Streng verboten. Als ich noch in Charleston gewohnt habe, war der Marine Corps Marathon stets Titelgeschichte. Es wurde gedroht, jeden Läufer zu disqualifizieren, der mit Kopfhörern aufkreuzt.«
»Muss ich das jetzt verstehen?«
»Falls sich jemand von hinten an Sie anschleicht, um Ihnen eins über den Schädel zu ziehen, sind die Chancen, dass Sie das mitkriegen, um einiges höher, wenn Sie sich nicht auf voller Lautstärke mit Musik zudröhnen. Toni Darien hat beim Laufen vermutlich nicht Musik gehört. Dennoch hat es der Täter geschafft, ihr auf den Hinterkopf zu schlagen, ohne dass sie sich auch nur umgedreht hätte. Finden Sie das nicht merkwürdig?«
»Sie können nicht wissen, ob der Täter sie nicht von vorn angegriffen hat. Vielleicht hat sie sich ja abgewandt oder sich geduckt, um ihr Gesicht zu schützen«, entgegnete Bonnell. »Schließlich wurde sie nicht direkt am Hinterkopf getroffen, sondern eher links hinter dem Ohr. Also hätte sie sich genauso gut umdrehen und sich wehren können, war aber zu langsam. Könnte es sein, dass Sie Mutmaßungen anstellen, weil Ihnen die Informationen fehlen?«
»Jemand, der versucht, auf einen Angriff zu reagieren oder sich zu schützen, hebt instinktiv die Arme und Hände und zieht sich auf diese Weise Abwehrverletzungen zu«, erwiderte Marino. »Auf den Fundortfotos, die ich kenne, hat sie jedoch keine. Allerdings habe ich noch nicht mit Dr. Scarpetta gesprochen und werde es mir von ihr bestätigen
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