Scarpetta Factor
er habe sie gestern Nachmittag nach Hause kommen sehen. Er sei selbst gerade aus dem Büro zurück und auf dem Weg ins Fitnessstudio gewesen, als Toni die Treppe hinaufstieg. Während er den Flur entlangging, habe sie ihre Wohnungstür aufgeschlossen.«
»Ging er in ihre Richtung?«
»Auf beiden Seiten des Flurs befinden sich Treppen. Er hat die Treppe zu seiner Wohnung genommen, nicht die zu ihrer.«
»Das heißt, dass er sie nicht aus der Nähe gesehen hat.«
»Mit den Einzelheiten sollten wir uns später befassen. Wenn Sie das nächste Mal mit Jaime telefonieren, können Sie ihr ja vorschlagen, dass wir uns am besten zusammensetzen«, beharrte Bonnell.
»Sie werden mir die Einzelheiten jetzt sofort verraten. Das ist eine indirekte Anweisung von ihr«, erwiderte Marino. »Ich versuche gerade, mir die Szene vorzustellen, die Sie beschrieben haben. Der Typ hat Toni von seinem Ende des Flurs aus, also aus etwa dreißig Meter Entfernung, beobachtet. Haben Sie persönlich mit diesem Zeugen gesprochen?«
»Eine indirekte Anweisung. Diesen Ausdruck kannte ich bis jetzt noch nicht. Ja, ich habe ihn selbst vernommen.«
»Seine Wohnungsnummer?«
»Eins-zehn, das ist von der Wohnung des Opfers aus betrachtet drei Türen weiter auf der linken Seite. Am anderen Ende des Flurs.«
»Ich statte ihm einen Besuch ab, bevor ich gehe.« Marino holte den zusammengefalteten Ausdruck aus dem RTCC heraus, um festzustellen, wer in Wohnung 110 lebte.
»Ich glaube, er wird nicht da sein. Mir hat er nämlich erzählt, er wolle für ein verlängertes Wochenende verreisen. Er hatte zwei Reisetaschen und ein Flugticket bei sich. Ich fürchte, Sie sind da auf dem Holzweg.«
»Was meinen Sie mit ›auf dem Holzweg‹?« Verdammt , warum enthielt man ihm wichtige Fakten vor?
»Das heißt, dass Ihre und meine Informationen möglicherweise voneinander abweichen«, entgegnete Bonnell. »Ich versuche, Ihnen auf Ihre indirekte Anweisung hin etwas mitzuteilen, und Sie hören mir nicht richtig zu.«
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Ich sage Ihnen, was ich weiß, und umgekehrt. Graham Tourette«, las Marino vom Computerausdruck ab. »Einundvierzig Jahre alt, Architekt. Ich bekomme meine Informationen, weil ich mir die Zeit nehme, danach zu suchen. Keine Ahnung, woher Sie Ihre haben, aber ich habe ganz den Eindruck, dass Sie sich diese Mühe lieber sparen.«
»Graham Tourette ist der Mann, mit dem ich gesprochen habe.« Inzwischen klang Bonnell nicht mehr patzig, sondern argwöhnisch.
»Kannte dieser Graham Tourette Toni besser?«, erkundigte sich Marino.
»Er behauptete, nein. Er habe nicht einmal gewusst, wie sie hieß. Aber er ist sicher, dass sie gestern gegen sechs ihre Wohnung betreten hat. Sie habe ihre Post in der Hand gehabt, also Briefe, Zeitschriften und ein Flugblatt. Mir gefällt es gar nicht, das alles am Telefon zu erörtern. Außerdem kann mich momentan sonst niemand erreichen, weil die Leitung blockiert ist. Ich lege jetzt besser auf. Wenn Jaime zurückkommt, treffen wir uns.«
Marino hatte kein Wort darüber verloren, dass Berger sich nicht in der Stadt aufhielt. Allmählich hatte er den Verdacht, dass Bonnell mit ihr telefoniert hatte und nicht beabsichtigte, ihm den Inhalt des Gesprächs zu verraten. Also wussten Berger und Bonnell anscheinend mehr als Marino.
»Was für ein Flugblatt?«, fragte er.
»Es war auf grellrosa Papier gedruckt. Er meinte, er habe es aus der Entfernung erkannt, weil an diesem Tag, also gestern, alle Mieter so eines erhalten hatten.«
»Haben Sie Tonis Briefkasten überprüft?«, erkundigte sich Marino.
»Der Hausmeister hat ihn für mich geöffnet«, antwortete Bonnell. »Man braucht dazu einen Schlüssel. Ihre Schlüssel steckten in ihrer Tasche, als sie im Park aufgefunden wurde. Um es einmal so auszudrücken, wir haben es mit einer heiklen Situation zu tun.«
»Ja, das ist mir klar. Sexualmorde im Central Park sind immer heikel. Ich habe die Fotos vom Fundort gesehen, was ich, nebenbei bemerkt, nicht Ihnen zu verdanken habe. Ich musste sie mir bei den Mordermittlern von der Gerichtsmedizin besorgen. Drei Schlüssel an einem Anhänger mit Glückswürfeln, die ihr leider kein Glück gebracht haben.«
»Als ich heute Morgen mit der Spurensicherung dort war, war der Briefkasten leer«, verkündete Bonnell.
»Ich habe zwar die Festnetznummer von diesem Tourette, aber nicht die Mobilfunknummer. Wären Sie so gut, mir alle Informationen über ihn zu mailen, für den Fall, dass ich mit ihm
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