Scarpetta Factor
eBay auf das Angebot gestoßen war, hatte er es als witzige Anspielung empfunden. Inzwischen jedoch war es gar nicht mehr witzig, denn sie hatten wirklich Ärger. Es herrschte so dicke Luft, dass sie eigentlich nur noch stritten und ihre Besuche und Anrufe immer seltener wurden. Ein eindeutiges Warnzeichen. Die Geschichte wiederholte sich. Er hatte noch nie eine längere Beziehung durchgehalten. Sonst wäre er jetzt auch nicht mit Bacardi zusammen, sondern vielleicht immer noch glücklich mit Doris verheiratet gewesen.
Er öffnete das Badezimmerschränkchen über dem Waschbecken, denn er wusste, dass Scarpetta sich sofort nach dem Inhalt erkundigen würde. Motrin, Midol, Heftpflaster, um vom Wundscheuern bedrohte Stellen abzukleben, Pflaster, sterile Kompressen, ein Mittel gegen Wasserblasen und viele Vitamine. Es waren auch drei Döschen mit einem rezeptpflichtigen Medikament dabei, stets dasselbe Präparat, allerdings waren auf den Aufklebern unterschiedliche Daten vermerkt. Diflucan. Marino war zwar kein Apotheker, aber er wusste, was Diflucan war, und kannte die Probleme, wenn eine Frau, auf die er stand, es nehmen musste.
Möglicherweise hatte Toni chronische Probleme mit Pilzinfektionen gehabt, möglicherweise weil sie häufig Sex hatte. Vielleicht hatte es ja auch etwas mit dem vielen Joggen zu tun. Oder damit, dass sie Nylonstrumpfhosen oder andere nicht atmungsaktive Materialien wie Lackleder oder Vinyl trug. Eingeschlossene Feuchtigkeit war der Feind Nummer eins, hatte Marino im Laufe der Jahre gelernt. Das und wenn man seine Sachen nicht heiß genug wusch. Er hatte sogar von Frauen gehört, die ihre Slips in die Mikrowelle steckten. Eine Frau, mit der er in seiner Zeit bei der Richmonder Polizei liiert gewesen war, hatte sogar ganz auf Unterwäsche verzichtet und behauptet, der Luftzug sei die beste Vorbeugung. Er hatte nichts dagegen gehabt. Marino stellte eine Liste sämtlicher Gegenstände im Badezimmerschränkchen und im Unterschränkchen auf. Es waren hauptsächlich Kosmetika.
Er war immer noch im Bad und fotografierte, als Mellnick erschien. Er telefonierte und signalisierte Marino mit einem hochgereckten Daumen, dass er Detective Bonnell aufgespürt hatte.
Marino nahm das Telefon von ihm entgegen. »Ja?«
»Was kann ich für Sie tun?« Eine angenehme, dunkle Frauenstimme, die Marino gefiel.
Er kannte Bonnell nicht und hatte bis heute noch nie von ihr gehört. Das war bei einer Polizeibehörde wie der in New York, die etwa vierzigtausend Polizisten, davon sechstausend Detectives, beschäftigte, nicht weiter verwunderlich. Marino bedeutete Mellnik mit einer Kopfbewegung, er solle draußen im Treppenhaus warten.
»Ich brauche Informationen«, sagte Marino ins Telefon. »Ich arbeite bei Berger und glaube nicht, dass wir uns schon einmal begegnet sind.«
»Wenn Berger etwas von mir will, kann sie mich anrufen.«
Marino war es gewohnt, dass die Leute versuchten, ihn zu übergehen, um sich direkt mit Berger in Verbindung zu setzen. Wie oft hatte er sich mit den verschiedensten Ausflüchten herumärgern müssen, warum der Betreffende unbedingt mit ihr persönlich und nicht mit ihm sprechen wollte. Offenbar war Bonnell erst seit kurzem bei der Mordkommission. Sonst wäre sie nicht so fordernd und forsch aufgetreten. Vielleicht hatte sie ja auch Gerüchte über ihn aufgeschnappt und beschlossen, ihn nicht zu mögen, ohne sich selbst ein Bild von ihm gemacht zu haben.
»Wissen Sie, sie ist zurzeit ein wenig beschäftigt«, meinte er. »Deshalb hat sie mich damit beauftragt, Fragen zu beantworten. Sicher möchte sie den morgigen Tag nicht mit einem Anruf des Bürgermeisters beginnen, der wissen will, was zum Teufel sie unternimmt, um die kläglichen Überreste der Tourismusbranche zu retten. Wenn eine Woche vor Weihnachten eine Joggerin im Central Park vergewaltigt und ermordet wird, verzichtet so mancher darauf, mit Frau und Kindern nach New York zu kommen, um sich die Rockettes anzuschauen.«
»Ich nehme an, sie hat noch nicht mit Ihnen gesprochen.«
»Doch, hat sie. Warum, glauben Sie, bin ich in Toni Dariens Wohnung?«
»Falls Berger Informationen von mir braucht, hat sie meine Nummer«, entgegnete Bonnell. »Ich erfülle ihr gern jeden Wunsch.«
»Warum lassen Sie mich durch den Reifen springen?« Marino war bereits stinksauer, und dabei telefonierte er erst eine knappe Minute mit ihr.
»Wann haben Sie zuletzt mit ihr geredet?«
»Weshalb interessiert Sie das?« Irgendetwas war hier im
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