Scarpetta Factor
der Werkbank. Aus einigen waren die Haare entfernt worden, die darin gewesen waren. Lange schwarzweiße Haare und Klumpen verfilzter Unterwolle. Sie sahen aus wie Wolfshaare und waren auf den Werkbänken und auf dem Boden verteilt. Dieser war neben dem orangemetallicfarbenen Lamborghini Diablo VT hastig gereinigt oder aufgewischt worden. Das Verdeck des Wagens war zurückgeklappt. Auf dem Beifahrersitz war ein Paar olivfarbener Nylonfäustlinge von Hestra mit Handflächen aus braunem Rindsleder zu erkennen. Lucy stellte sich vor, wie Toni Darien nach dem Joggen die Villa durch die Eingangstür betreten hatte.
Offenbar hatte Toni sich von der Person, die ihr die Tür geöffnet und sie in den Keller, wo höchstens zehn Grad herrschten, begleitet hatte, nicht bedroht gefühlt. Vielleicht hatte sie den Mantel anbehalten, während der Gastgeber ihr die Autos vorführte, und sie war sicher von dem Lamborghini beeindruckt gewesen. Möglicherweise hatte sie sich ans Steuer gesetzt und die Fäustlinge ausgezogen, um das Lenkrad aus Kohlefaser zu betasten und von so einem Wagen zu träumen. Kurz hatte sie sich abgewandt, und jemand hatte die Gelegenheit genutzt, um einen Gegenstand, vermutlich den Schalthebel, zu nehmen und ihr damit den Hinterkopf einzuschlagen.
»Und dann wurde sie vergewaltigt«, sagte Berger.
»Sie konnte nicht mehr stehen, sondern wurde herumgetragen«, erklärte Lucy. »Laut Tante Kay hat es sich über eine Stunde hingezogen. Als sie dann tot war, fing es erneut an. Wahrscheinlich wurde sie hier unten auf der Matratze liegen gelassen, und er kam immer wieder zurück. Das Ganze hat anderthalb Tage angedauert.«
»Als er mit dem Morden anfing« – mit »er« meinte Berger Jean-Baptiste –, »war sein Bruder Jay sein Komplize. Jay war attraktiv und hatte Sex mit den Frauen. Und anschließend schlug Jean-Baptiste sie tot. Er hat sie nie vergewaltigt. Ihn hat es scharf gemacht, sie umzubringen.«
»Jay hatte Sex mit ihnen. Er könnte ja einen anderen Jay gefunden haben«, erwiderte Lucy.
»Wir müssen uns sofort auf die Suche nach Hap Judd machen. «
»Wie hast du dich mit Bobby verabredet?«, erkundigte sich Lucy, während Marino und vier Polizisten in der Uniform des Sondereinsatzkommandos oben auf der Rampe erschienen und auf sie zukamen. Sie hatten die Hände an den Waffen.
»Ich habe ihn nach der Sitzung in der Außenstelle des FBI am Mobiltelefon angerufen«, antwortete Berger.
»Dann kann er nicht in diesem Haus gewesen sein«, stellte Lucy fest. »Außer er hatte den Störsender abgestellt und ihn nach dem Telefonat mit dir wieder eingeschaltet.«
»Oben in der Bibliothek steht ein Cognacglas«, sagte Berger. »Vielleicht verrät es uns, ob Bobby und er ein und dieselbe Person sind.« Das hieß Jean-Baptiste.
»Wo ist Benton?«, fragte Lucy Marino, der sich inzwischen zu ihnen gesellt hatte.
»Er und Marty holen Scarpetta ab.« Sein Blick schweifte durch den Raum und erfasste die Gegenstände auf den Werkbänken und das Checker-Taxi. »Die Spurensicherung ist schon unterwegs, damit wir feststellen können, was zum Teufel hier unten passiert ist. Scarpetta bringt den Schnüffler mit.«
23
In dem Raum, dem die Mitarbeiter im DNA-Gebäude den Spitznamen Blutgrotte verpasst hatten, tauchte Scarpetta einen Tupfer in eine Flasche mit Kohlenwasserstoff und benetzte damit den Bodensatz in einer Petrischale, die sie anschließend auf den aus Kunststofffliesen bestehenden Fußboden stellte. Danach schaltete sie das tragbare Analysegerät für vergrabene Leichenteile und Verwesungsgeruch, den »Lightweight Analyzer for Buried Remains and Decomposition Odor«, ein, dessen Name passenderweise mit LABRADOR abgekürzt wurde.
Die elektronische Nase, der sogenannte Schnüffler, erinnerte tatsächlich an einen Roboterhund aus einem Comic und bestand aus einem S-förmigen Stab mit kleinen Lautsprechern an beiden Seiten, die als Ohren durchgehen konnten. Die Nase selbst, eine Bienenwabe aus Metall, setzte sich aus zwölf Sensoren zusammen, die verschiedene chemische Eigenschaften erkennen konnten wie ein echter Hund Gerüche. Der Akku war mit einem Riemen versehen, den Scarpetta schulterte, bevor sie den Stab unter den Arm klemmte und die Nase über ihre Probe in der Petrischale hielt. Der LABRADOR reagierte, indem auf einer Konsole ein erleuchteter Strichcode erschien. Dazu ertönte ein Signal, das sich anhörte wie Harfenklänge aus der Konserve. Es war eine harmonische Abfolge von Tönen, ein
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