Scarpetta Factor
sprechen, eine opake, ellipsoide Verklebung, die offenbar aus einer Ansammlung von verlängerten Lufteinschlüssen im Haarschaft dicht oberhalb der Kopfhaut besteht.«
»Stopp! Ich glaube, unsere Zuschauer brauchen da eine Übersetzung.«
»Auf den Fotos, die Sie vor sich haben, können Sie dunkle Stellen an der zwiebelförmigen Wurzel erkennen. Sehen Sie die dunklen Verklebungen? Dieses Phänomen tritt bei lebenden Menschen nicht auf.«
»Und wir betrachten hier Hannah Starrs Haare«, stellte Carley fest.
»Nein, ganz sicher nicht.« Wenn sie jetzt aus dem Studio stürmte, würde sie die Sache nur verschlimmern. Durchhalten , sagte sie sich.
»Nein?« Eine theatralische Pause. »Von wem sind sie dann?«
»Ich führe Ihnen hier einfach nur Beispiele dafür vor, was man bei einer mikroskopischen Haaranalyse alles entdecken kann«, erwiderte Scarpetta wie auf eine vernünftige Frage, obwohl es ganz und gar keine war. Carley wusste ganz genau, dass diese Haare nichts mit dem Fall Hannah Starr zu tun hatten, sondern von einem Unbekannten stammten und Teil einer PowerPoint-Präsentation waren, die Scarpetta häufig an gerichtsmedizinischen Fakultäten hielt.
»Es sind also nicht Hannahs Haare, und sie stehen auch in keinerlei Zusammenhang mit ihrem Verschwinden?«
»Es sind nur Demonstrationsobjekte.«
»Nun, offenbar ist es das, was mit dem ›Scarpetta-Faktor‹ gemeint ist. Sie zaubern einen Trumpf aus dem Ärmel, um Ihre Theorie zu untermauern, dass Hannah offensichtlich tot ist. Deshalb führen Sie uns auch die Haare eines Toten vor. Tja, ich stimme Ihnen zu, Dr. Scarpetta«, fuhr Carley langsam und betont fort. »Ich glaube, dass Hannah Starr nicht mehr lebt. Außerdem bin ich überzeugt, dass ihr Schicksal mit dem der Joggerin in Zusammenhang steht, die vor kurzem im Central Park brutal ermordet wurde. Toni Darien.«
Auf den Monitoren erschien ein Foto von Toni Darien in enger Hose und knapper Bluse mit Bowlingbahnen im Hintergrund. Ein zweites Foto zeigte sie als Leiche am Fundort.
Woher zum Teufel hat sie das? Scarpetta ließ sich ihre Überraschung nicht anmerken. Wie hatte Carley ein Foto vom Fundort in die Finger bekommen?
»Es ist allgemein bekannt«, wandte sich Carley an die Zuschauer, »dass ich Quellen habe, die ich nicht preisgeben darf. Doch mir liegen Bestätigungen für diese Information vor. Ich habe in Erfahrung gebracht, mindestens ein Zeuge habe bei der New Yorker Polizei gemeldet, er habe beobachtet, wie Toni Dariens Leiche heute am frühen Morgen aus einem gelben Taxi gezerrt wurde. Sind Sie über diese Tatsache im Bilde, Dr. Scarpetta?« Es wurde weiter langsam mit dem Bleistift geklopft.
»Auch über die Ermittlungen im Fall Toni Darien werde ich nicht sprechen.« Scarpetta versuchte, sich nicht von dem Fundortfoto ablenken zu lassen. Es handelte sich offenbar um eines der Fotos, die heute Morgen von einem Ermittler der Spurensicherung aufgenommen worden waren.
»Also gäbe es etwas zu berichten«, bohrte Carley weiter. »Das habe ich nicht gesagt.«
»Ich möchte die Zuschauer daran erinnern, dass Hannah Starr zuletzt gesehen wurde, als sie nach einem Abendessen mit Freunden in Greenwich Village in ein gelbes Taxi stieg, und zwar am Tag vor Thanksgiving. Mir ist klar, dass Sie sich nicht dazu äußern werden, Dr. Scarpetta. Deshalb werde ich Ihnen eine Frage stellen, die Sie eigentlich zu beantworten in der Lage sein müssten. Gehört die Verbrechensverhütung nicht auch zur Tätigkeit eines Gerichtsmediziners? Ist es nicht Ihre Aufgabe, die Todesursache herauszufinden, um zu verhindern, dass weitere Menschen ermordet werden?«
»Selbstverständlich«, entgegnete Scarpetta. »Und um Verbrechen vorzubeugen, ist es manchmal nötig, dass diejenigen, die für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit die Verantwortung tragen, bei der Verbreitung von Informationen äußerste Vorsicht walten lassen.«
»Nun, dann würde mich eines interessieren. Wäre es nicht im Sinne der Bevölkerung, zu wissen, dass ein Serienmörder in einem gelben Taxi in New York herumfährt und Ausschau nach seinem nächsten Opfer hält? Ist es nicht Ihre Pflicht, es bekanntzugeben, wenn Sie über derartige Informationen verfügen, Dr. Scarpetta?«
»Falls diese Informationen belegt sind und dem Schutz der Bevölkerung dienen, stimme ich Ihnen zu. Man sollte sie veröffentlichen.«
»Und warum ist es dann nicht geschehen?«
»Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob diese Informationen existieren oder
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