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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lili Wilkinson
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der Zunge ein wenig zu befeuchten.
    »Hannah«, sagte James, dann unterbrach er sich und drückte ihre Hand. »Ich möchte mich um Sie kümmern.«
    »Warum?«, fragte Hannah. »Warum wollen Sie sich um mich kümmern?«
    »Weil ich Sie liebe.«
    Hannah fragte sich, ob jemand, der so grausam war, Long Meg so etwas anzutun, wirklich lieben konnte. Was hatte sie getan, dass er solche Gefühle für sie hegte?
    »Warum? Warum lieben Sie mich?«
    »Ich weiß, wer Sie sind, Hannah«, sagte James. »Ich weiß, wer Ihr Vater war.«
    Hannah runzelte die Stirn.
    »Mein Vater war ein Halunke«, erwiderte sie. »Er hat das Geld meiner Mutter verspielt.«
    »Er war ein Edelmann«, entgegnete James. Er drückte wieder ihre Hand. »Ich weiß, dass ich Sie glücklich machen kann.«
    Hannah wurde schwindelig, sie dachte plötzlich daran, dass Thomas Behr genau dasselbe zu ihr gesagt hatte. Es kam ihr vor, als sei das in einem anderen Leben gewesen. Sie spürte, wie die Taubheit von ihr wich und ein Gefühl von Traurigkeit ihr Herz beschlich. Sie wehrte sich dagegen, wollte die Erstarrung der vergangenen Tage nicht verlieren.
    »Bitte, Hannah«, sagte James. »Kommen Sie mit in meine Kabine. Ich werde mich um Sie kümmern, wenn wir nach New South Wales kommen. Ich werde Sie heiraten. Wir können nach London zurückkehren und ich werde uns ein Haus in May fair mit vierzig Dienern und sechs Kutschen kaufen.«
    Hannah gab keinen Ton von sich. Von oben war ein Grollen zu hören. Sie hob den Kopf und sah James an. Seine Uniform war frisch und makellos. Kein Schweißtröpfchen glitzerte in seinen Augenbrauen. Er war wie ein Engel, der über dem Schiff schwebte, während die anderen schwitzten, verbrannten und verfaulten.
    Sie dachte an Thomas Behr und an seine Ärmel, die immer zu kurz für seine langen Arme gewesen waren. Sie dachte an den großen weißen Bären und sah, wie ein Schatten
    über James’ Gesicht wanderte, als könnte er ihre Gedanken lesen.
    Sie wusste, dass er sie belog.
    Er war genau wie ihr Vater. Hannah erinnerte sich daran, wie aufgebracht Thomas Behr gewesen war, als Hannah ihm erzählt hatte, dass Arthur Cheshire eine Dienerin gefeuert hatte, weil sie beim Servieren mit der Tasse geklappert hatte. Hannah hatte sich Thomas’ Aufregung nicht erklären können. Jetzt verstand sie.
    Ihr Vater hatte sich nicht für sie interessiert. Er hatte sie geliebt, ja, aber das war nicht dasselbe. Auch James interessierte sich nicht für sie, trotzdem würde er alles tun, damit sie bei ihm bliebe, selbst wenn er dafür sämtliche Sträflinge auf dem Schiff ermorden müsste.
    Hannah hatte gedacht, James sei ein Gentleman wie ihr Vater. Ein Herr von Stand. Long Meg hatte recht gehabt. James war kein Gentleman, aber nicht deshalb, weil sein Vater Knöpfe verkaufte.
    Doch was blieb ihr anderes übrig? James bot ihr Wohlstand und Sicherheit an. Was sollte sonst aus ihr werden? Eine Dienerin in Sydney Town vielleicht? Eine Fabrikarbeiterin? Hannah erschauderte bei dieser Vorstellung. James würde sich um sie kümmern. Hannah biss sich auf die Lippe und bat Long Meg in Gedanken um Vergebung. Plötzlich wurde es dunkel, als hätte jemand einen Vorhang vor die Sonne gezogen.
    Hannah holte tief Luft.
    Dann öffnete der Himmel seine Schleusen und schleuderte solche Mengen von Wasser herab, dass Hannah im ersten Moment nicht wusste, wo das Meer aufhörte und der Regen begann. Es war ein warmer tropischer Platzregen und Hannahs Kleid klebte bald unangenehm an ihrem Körper. Die Planken zischten und knisterten, als das Wasser auf sie einprasselte.
    »Belforte!«, rief jemand.
    Hannah blickte auf und sah Captain Gartside, der mit nacktem Oberkörper und nassem, strähnigem Haar auf dem Achterdeck stand. Sein Gesicht war rot und rissig, die Haut auf seiner Nase pellte sich. Das Wasser lief in Bächen über sein Gesicht.
    »Gleich, Sir«, sagte James, ohne seinen Blick von Hannah zu lösen.
    »Nicht gleich, jetzt sofort!«, schrie der Captain. »Das Kreuzholz!«
    James hielt noch einen Moment lang inne und schaute Hannah forschend an, dann stand er auf und rannte durch den Regen davon.
    Der Regenguss dauerte nur eine Minute und schon bald hatte die sengende Sonne jedes Wassertröpfchen aufgeleckt und das Deck glühte wieder wie ein Backofen.
    James war noch auf dem Achterdeck und gab den hin und her rennenden Matrosen Anweisungen. Er sah immer noch makellos aus, als hätte der Regen ihm nichts anhaben können.
    Captain Gartside kniete vor dem

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