Scatterheart
weiter ausbreiteten und bald am Rumpf des Schiffs hinaufwucherten.
Das Orlopdeck erstickte in Moder. Durch Risse im Schiffsbauch, der in der Hitze aufgequollen war, drang allerlei Unrat in den Laderaum. Alles war in einen ekelerregenden Gestank nach Verwesung und Blut gehüllt.
Hannahs Knie und Handgelenke schmerzten Tag und Nacht, auf ihrer Haut bildeten sich schwarze und blaue Stellen. Sally sagte ihr, es sei Skorbut und sie müsse Dr. Ullathorne aufsuchen, doch Hannah schüttelte nur matt den Kopf.
Von den Deckenbalken tropfte geschmolzener Teer auf die Frauen. Hannahs Gesicht und Arme waren bald von schwarzen Brandmalen übersät.
Molly hatte schon fünfzehn Kerben in das Brett über Long Megs Bett gekratzt, als James zu Besuch kam.
Hannah drehte ihm den Rücken zu, aber er berührte sie sanft an der Schulter. Sie freute sich insgeheim ein bisschen darüber, fragte sich jedoch, warum er nicht schon früher gekommen war.
»Hannah«, sagte er, »erlauben Sie, dass ich Ihnen helfe. Sonst sterben Sie.«
Sie war zu schwach, um sich zu wehren.
Er hob sie vom Bett und trug sie die Treppe zum Oberdeck hoch. Obwohl alles andere um sie herum nach verdorbenem Essen und Fäkalien stank, duftete er nach Veilchen und Sandelholz. Als sie oben angelangten, war Hannah von der auf dem Wasser gleißenden Sonne so geblendet, dass sie zuerst nichts sehen konnte. Auf den sengend heißen Planken brodelte der Teer.
Fürsorglich wickelte James ein paar Stofffetzen um ihre Füße, damit sie sich auf dem glühenden Holz nicht verbrannte. Dann führte er sie unter ein behelfsmäßig errichtetes Sonnensegel und ließ sie Platz nehmen.
Im Gegensatz zu allen anderen Männern auf dem Schiff war James immer noch glatt rasiert. Er hielt Hannah einen Blechbecher hin.
»Trinken Sie. Sie müssen doch wieder gesund werden.« Hannah hatte einen unerträglichen Durst. Sie griff nach dem Becher, nahm gierig einen Schluck und spuckte sofort wieder aus. Die Flüssigkeit verdampfte zischend auf dem Deck. Ihr Gaumen und ihre Zunge brannten.
»Das ist Essig«, sagte James. »Das wird Ihnen helfen.«
Dort, wo sie den Essig hingespuckt hatte, waren blutige Schlieren. Ihr Zahnfleisch fühlte sich aufgequollen an wie ein Schwamm. Sie fuhr mit ihrer geschwollenen Zunge über ihre Zähne und spürte, dass sich etwas gelockert hatte. Sie spuckte noch einmal aus. Ein weißer Zahn fiel auf das Deck und von Hannahs Unterlippe löste sich ein langer blutiger Speichelfaden.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie James zusammenzuckte. Sie machte verlegen die Augen zu.
»Trinken Sie den Essig, Hannah«, sagte er. »Bitte.«
Sie hob den Becher an die Lippen und trank. Der Essig brannte wie Feuer und sie konnte kaum schlucken. Sie ließ den Becher fallen, beugte sich vor und erbrach. James hielt ihr die Haare nach hinten und streichelte sanft ihre Stirn.
»Schsch, jetzt wird alles wieder gut. Ich werde mich um Sie kümmern.«
Hannah erinnerte sich undeutlich an sein Gesicht, als er sie nach der Äquatortaufe über das Deck gewirbelt hatte. Vorsichtig fuhr sie mit der Zunge über ihr wundes Zahnfleisch und ertastete in der oberen Zahnreihe hinten links eine Lücke. Dann betrachtete sie den weißen Zahn auf den Planken, der in einer Pfütze aus Blut und Speichel lag. Sie war in der Hitze schon fast wieder getrocknet.
»Sie haben mich angelogen«, krächzte sie heiser. »Wegen Long Meg.«
»Zugegeben. Und ich entschuldige mich dafür. Ich wollte sie retten, aber sie war schon tot, als ich hinkam. Ich konnte nichts mehr tun. Ich wollte es Ihnen nicht sagen, weil … ich wollte Sie nicht aufregen.«
Er nahm zärtlich ihre Hände.
»Ich würde niemals etwas tun, das Sie verletzt, Hannah.« Hannah blinzelte. Die gleißende Helligkeit tat ihren Augen weh. Der Essig blubberte in ihrem leeren Magen.
»Sie haben es gewusst«, keuchte sie. »Sie wussten, dass ich es irgendwann erfahren würde. Alle wissen es.«
James streichelte mit seinem Daumen ihre Hand. »Es heißt, sie sei an einer Infektion gestorben.«
Die Hitze schlug wie ein Hammer auf Hannah ein. Sie bekam Platzangst, als würde sie von einem schrecklichen Gewicht niedergedrückt werden.
»Dr. Ullathorne …«, setzte sie an.
James seufzte. »Es war falsch, was er getan hat. Aber wir brauchen ihn. Er ist unser Schiffsarzt. Auf der Krankenstation sind zurzeit über sechzig Personen: Sträflinge, Matrosen und Offiziere. Ohne ihn werden wir diese Reise nicht überleben.«
Hannah versuchte ihre Lippen mit
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