Schabernackel
einen dritten Anlauf, „ist ein Tier. Sie kann sehr schnell laufen, und wenn der Jäger auf sie schießt, schlägt sie einen Haken nach dem andern.“
Die Kinder in der Klasse stießen sich an und lachten.
„Ach nee!“ rief Bertold. „Wohl in die Wand, was, damit sie ihren Mantel aufhängen kann!“
Rüdiger kriegte einen roten Kopf. Er wußte gar nicht mehr, was er sagte, und stotterte weiter.
„Wenn eine Gefahr droht, rollt die Kuh sich zusammen und steckt ihre Stacheln raus, und mit ihrem langen buschigen Schwanz steuert sie, wenn sie von Baum zu Baum springt. Sie wohnt tief in der Erde in ganz engen Gängen, wo sie auch ihre Eier legt. Wenn sie ihren Winterschlaf gehalten hat, klettert sie an einer Hauswand hoch und verpuppt sich. Nach drei Wochen streift sie ihre Haut ab und ist dann ein wunderschöner Hering mit blauweißen Flügeln.“
Die Mitschüler Rüdigers konnten sich nicht mehr halten. Sie brüllten vor Vergnügen. Herr Howald lachte auch.
„Was ist los, Rüdiger“, fragte er, als es ein wenig ruhiger geworden war, „hast du den Faden verloren?“
Rüdiger schüttelte den Kopf und sprach weiter.
„Kühe sind Gesellschaftstiere“, sagte er. „Zehn- bis zwanzigtausend wohnen in einem Haufen beisammen. Die Königin sitzt ganz in der Mitte, und der König hat eine Mähne und einen langen Bart. Manche Kühe tragen ihr Haus auf dem Rücken, das sind die sogenannten Hauskühe. Die Kühe ohne Haus nennt man Nacktkühe. Nachts hängen sie sich mit dem Kopf nach unten an einen Balken. Wenn man sie im Schlaf anstößt, fallen sie runter und gackern. Wer von euch mal irgendwo eine Kuh sieht, darf sie nicht tottreten, denn alle Kühe stehen unter Denkmalschutz. Das wissen sie auch, und darum sind sie sehr frech. Sie fliegen einfach durch ein offenstehendes Fenster und picken sich die Rosinen aus dem Kuchen. Manche Kühe sind zahm und zutraulich und lassen sich streicheln. Nur muß man sich vor ihrem giftigen Stachel hüten, der tötet nämlich innerhalb weniger Sekunden. Unangenehm ist auch ihre Stinkdrüse. Wenn sie einem damit die Jauche ins Gesicht spritzen, geht man vierzehn Tage lang rückwärts.“
Als Rüdiger so weit gekommen war, konnte er nicht mehr weitererzählen, denn seine Mitschüler tobten. Sie trommelten mit den Fäusten auf ihre Tischplatten, trampelten mit den Füßen und pfiffen auf den Fingern. Herr Howald hatte Lachtränen in den Augen.
„Rüdiger“, sagte er, „mit diesem Vortrag kannst du in den Zirkus gehen oder zum Fernsehen. Ich danke dir für den großen Spaß. Eine gute Zensur kann ich dir allerdings nicht dafür eintragen, denn gelernt hat ja niemand etwas von dir.“ Unter dem schadenfrohen Gegröle seiner Klassenkameraden taumelte Rüdiger an seinen Platz, stützte den Kopf in die Hände und erfuhr zum erstenmal in seinem Leben, was man fühlt, wenn man wegen einer schlechten Leistung ausgelacht wird.
„Tja, mein lieber Junge“, sagte Schabernackel leise, „das mußte einmal sein. Ich bin sicher, daß du nach dieser Niederlage den Mund nicht mehr so voll nehmen und dir das hochmütige Lachen über deine Mitschüler abgewöhnen wirst. Bis das Gedächtnislöschblatt aus deinem Heft fällt, wirst du dich wohl noch ein paarmal blamieren.“
Er stieg vom Schrank herunter, schwang sich durch ein offenstehendes Fenster und kletterte zufrieden in seine Reisewolke. „Auf zu neuen Taten, mein Wolkenvogel!“ rief er. „Die Welt ist groß und voller Abenteuer!“
Schabernackel lenkte sein Fahrzeug nach Norden. Er wollte ein paar Tage in der Heide leben, weil es dort so leckeren Honig gab. Da er seine Ohren auf Fernempfang eingestellt hatte, hörte er schon von weitem das Summen der hunderttausend Bienen, die eifrig von Blüte zu Blüte flogen und Blütenstaub und Nektar sammelten. Langsam schwebte er tiefer und landete zwischen zwei hohen Wacholderbüschen.
„Ach, ist das ein Duft!“ sagte er laut, als er ausstieg. „Hier kann ich es eine Zeitlang aushalten. Ob ich mir einen Heidestrauß pflücke und mit an Bord nehme? Na klar! Dann duftet es genau da, wo ich es gern habe, vor meiner hübschen Nase nämlich.“
Er brach sich einige Stengel Glockenheide ab, band sie zu einem kleinen Strauß zusammen und steckte den vorne in die Wolke. „Das hast du sehr schön gemacht, mein lieber Schabernackel“, lobte er sich selbst. „Bestimmt kommen jetzt die Bienen auch zu dir, um von deinen Blüten zu naschen. Dann hast du ein bißchen Musik an Bord
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