Schabernackel
war der Mond längst aufgegangen. Schabernackel landete unbemerkt auf dem Dach und horchte durch den Schornstein hinunter, was unten gesprochen wurde.
Was er erwartet hatte, traf ein: Kaum hatten die Kinder ihre Schlafanzüge angezogen, da verlangten sie noch eine Gute-Nacht-Geschichte von ihrer Oma.
„Aber, Kinder“, sagte die alte Dame müde, „ich kann nicht mehr! Ich schlaf ein dabei!“
„Das macht nichts“, sagte das Mädchen. „Wenn du einschläfst, schlafen wir auch schnell ein und träumen die Geschichte weiter.“
Die geplagte Oma setzte sich zu den Kindern ans Bett und begann zu erzählen.
„Eine ganz kurze bringe ich vielleicht noch zustande“, sagte sie, „zu einer langen habe ich keine Kraft mehr.“
„Aber ich!“ flüsterte Schabernackel. „Warte nur, Großmutter, ich komm dir zu Hilfe!“
Er hatte längst gesehen, daß der Schornstein in einem offenen Kamin endete und so dick war, daß er mühelos hinunterrutschen konnte. Das tat er nun, nachdem er seinen Ring gedreht und sich unsichtbar gemacht hatte. Die Geräusche, die dabei entstanden, konnte man allerdings hören.
Die Kinder fuhren in ihren Betten auf und lauschten. „Hast du das gehört, Oma?“ fragte der Junge. „Da ist jemand im Wohnzimmer! Ein Einbrecher bestimmt!“
Die alte Frau hatte nichts wahrgenommen, weil sie schon fast schlief. Sie ging aber dennoch unerschrocken ins Wohnzimmer hinüber und sah nach, ob sich jemand eingeschlichen hatte. Natürlich sah sie den unsichtbaren Schabernackel vor dem Kamin nicht.
„Es ist niemand hier!“ rief sie darum den Kindern zu. „Ihr braucht keine Angst zu haben.“ Langsam schlurfte sie zurück und setzte sich.
„Vielleicht war es nur ein Fabelwesen“, sagte sie, „eine Elfe oder ein Zwerg, die uns mal besuchen wollten, aber gleich wieder weiterzogen, als sie sahen, daß ihr schon im Bett wart.“
„Was sind Elfen?“ fragte das Mädchen.
Die Oma kaute auf ihrer Unterlippe.
„Elfen“, erklärte sie, „sind Wesen zwischen Mensch und Gott.“
„Und die gibt es wirklich?“ fragte der Junge.
„Ich glaube, nicht“, sagte die Oma zögernd. „Man erzählt sich nur Geschichten von ihnen.“
„Aber Zwerge gibt es!“ rief das Mädchen. „Das sind richtige Menschen, nur kleiner. Sie graben im Berg nach Gold und Edelsteinen. Manche von ihnen sind gut und manche böse. Und zaubern können sie fast alle!“
„Kann schon sein“, stimmte die Oma zu. „Ich kenn mich da nicht so aus.“ Sie gähnte und schloß die Augen. „Wollt ihr nicht endlich schlafen?“
„Erst die Geschichte!“ rief der Junge. „Versprochen ist versprochen!“ «
„Jawohl!“ rief auch das Mädchen. „Und sein Wort muß man halten! Erzähl uns bitte was von einem Zwerg!“
Die alte Frau gähnte noch einmal und dachte nach.
Da trat Schabernackel leise hinter sie und flüsterte ihr ins Ohr: „Es war einmal ein Zwerg, der hieß Schabernackel und konnte mit einer Wolke durch die Luft fliegen.“
Die Oma merkte vor lauter Müdigkeit gar nicht, daß ihr jemand etwas ins Ohr raunte. Sie glaubte ihre eigenen Gedanken zu hören und sprach alles nach.
„Der Zwerg war ein Schelm“, fuhr Schabernackel fort. „Er hatte eine lustige Knollennase und grüne Augen, und das Haar auf seinem Kopf war immer strubbelig. Wenn ihr ihn euch mit all eurer Fantasie vorstellt, könnt ihr ihn vielleicht richtig sehen.“
Bei diesen Worten trat er zwei Schritte zur Seite und drehte seinen Ring, so daß er wieder sichtbar wurde.
„Ja“, flüsterte der Junge aufgeregt, „ich sehe ihn! Er steht da zwischen unseren Betten!“
„Ich sehe ihn auch“, sagte das Mädchen. „Er hat eine wunderschöne Knollennase, und seine Jacke ist grün! Oh, ist der schön!“
Schabernackel drehte seinen Ring und war wieder unsichtbar.
„Genauso sah er aus“, erzählte er weiter. „Und er war immer lustig. Wenn er aber auf Menschen traf, die irgend etwas Närrisches, Verrücktes oder auch Böses an sich hatten, dann spielte er ihnen gern einen Schabernack. Um sie zu bessern, versteht ihr? Oder um ihnen zu helfen. Er hatte immer einen Lumpensack bei sich, in dem die merkwürdigsten Dinge waren, die man sich vorstellen kann. Da gab es Gedankenmagneten und Gedächtnislöschblätter, Wortwechselcomputer und Backpfeifengeber. Mit diesen Dingen konnte er seine Streiche aushecken. Zum Beispiel gewöhnte er einer Frau das böse Reden über andere Leute ab, machte einem Jungen klar, wie schwer es eine Mutter hat, wenn man
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