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Schach von Wuthenow

Schach von Wuthenow

Titel: Schach von Wuthenow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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mich doch selber oft genug über diese Dinge lachen sehen. Aber, meine süße Victoire, die Stunden sind nicht gleich, und heute bitt ich deinem Vater ab und dank ihm von Herzen, weil er mir in seinem Adelsstolze, mit dem er mich zur Verzweiflung gebracht und aus seiner Nähe hinweggelangweilt hat, eine willkommene Waffe gegen diesen mir unerträglichen Dünkel in die Hand gibt. Schach, Schach! Was ist Schach? Ich kenn ihre Geschichte nicht und
will
sie nicht kennen, aber ich wette diese meine Broche gegen eine Stecknadel, daß du, wenn du das ganze Geschlecht auf die Tenne wirfst, da, wo der Wind am schärfsten geht, daß nichts übrigbleibt, sag ich, als ein halbes Dutzend Obersten und Rittmeister, alle devotest erstorben und alle mit einer Pontaknase. Lehre mich
diese
Leute kennen!«
    »Aber, Mama...«
    »Und nun die Carayons! Es ist wahr, ihre Wiege hat nicht an der Havel und nicht einmal an der Spree gestanden, und weder im Brandenburger noch im Havelberger Dom ist je geläutet worden, wenn einer von ihnen kam oder ging. Oh, ces pauvres gens, ces malheureux Carayons! Sie hatten ihre Schlösser, beiläufig
wirkliche
Schlösser, so bloß armselig an der Gironde hin, waren bloß Girondins, und deines Vaters leibliche Vettern fielen unter der Guillotine, weil sie treu und frei zugleich waren und uneingeschüchtert durch das Geschrei des Berges für das Leben ihres Königs gestimmt hatten.«
    Immer verwunderter folgte Victoire.
    »Aber«, fuhr Frau von Carayon fort, »ich will nicht von Jüngstgeschehenem sprechen, will nicht sprechen von
heute
. Denn ich weiß wohl, das Vonheutesein ist immer ein Verbrechen in den Augen derer, die schon gestern da waren, gleichviel
wie
. Nein, ich will von alten Zeiten sprechen, von Zeiten, als der erste Schach ins Land und an den Ruppiner See kam und einen Wall und Graben zog und eine lateinische Messe hörte, von der er nichts verstand. Eben damals zogen die Carayons, ces pauvres et malheureux Carayons, mit vor Jerusalem und eroberten es und befreiten es. Und als sie heimkamen, da kamen Sänger an ihren Hof, und sie sangen selbst, und als Victoire de Carayon (ja, sie hieß auch Victoire) sich dem großen Grafen von Lusignan vermählte, dessen erlauchter Bruder Großprior des hohen Ordens vom Spital und endlich König von Zypern war, da waren wir mit einem Königshause versippt und verschwägert, mit den Lusignans, aus deren großem Hause die schöne Melusine kam, unglücklichen, aber Gott sei Dank unprosaischen Angedenkens. Und von uns Carayons, die wir ganz andere Dinge gesehn haben, will sich dieser Schach abwenden und sich hochmütig zurückziehn?
Unsrer
will er sich schämen? Er, Schach. Will er es als Schach oder will er es als Grundherr von Wuthenow? Ah, bah! Was ist es denn mit beiden? Schach ist ein blauer Rock mit einem roten Kragen, und Wuthenow ist eine Lehmkate.«
    »Mama, glaube mir, du tust ihm unrecht. Ich such es nach einer andern Seite hin. Und da find ich es auch.«
    Frau von Carayon beugte sich zu Victoire nieder und küßte sie leidenschaftlich. »Ach, wie gut du bist, viel, viel besser als deine Mama. Und nur
eines
ist gut an ihr, daß sie dich liebt. Er aber sollte dich
auch
lieben! Schon um deiner Demut willen.«
    Victoire lächelte.
    »Nein, nicht so. Der Glaube, daß du verarmt und ausgeschieden seiest, beherrscht dich mit der Macht einer fixen Idee.
Du bist
nicht so verarmt. Und auch er...«
    Sie stockte.
    »Sieh, du warst ein schönes Kind, und Alvensleben hat mir erzählt, in welch enthusiastischen Worten der Prinz erst neulich wieder von deiner Schönheit auf dem Massowschen Balle gesprochen habe. Das ist nicht hin, davon blieb dir, und jeder muß es finden, der ihm liebevoll in deinen Zügen nachzugehen den Sinn und das Herz hat. Und wenn wer dazu verpflichtet ist, so ist
er's
! Aber er sträubt sich, denn so hautain er ist, so konventionell ist er. Ein kleiner ängstlicher Aufmerker. Er hört auf das, was die Leute sagen, und wenn das ein Mann tut (wir müssen's), so heiß ich das Feigheit und Lâcheté. Aber er soll mir Rede stehn. Ich habe meinen Plan jetzt fertig und will ihn demütigen, so gewiß er
uns
demütigen wollte.«
    Frau von Carayon kehrte nach diesem Zwiegespräch in das Eckzimmer zurück, setzte sich an Victoirens kleinen Schreibtisch und schrieb.
    »Einer Mitteilung Herrn von Alvenslebens entnehm ich, daß Sie, mein Herr von Schach, heute, Sonnabend abend, Berlin verlassen und sich für einen Landaufenthalt in Wuthenow entschieden

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