Schach von Wuthenow
und so hielt sie sich denn seitwärts unter den Bäumen hin, um nicht vor der Zeit gesehen zu werden.
Endlich indes war sie bis an die Sandsteinstufen des Schlosses heran und schritt sie tapfer hinauf. Die Nähe der Gefahr hatte ihr einen Teil ihrer natürlichen Entschlossenheit zurückgegeben.
»Ich wünschte den General von Köckritz zu sprechen«, wandte sie sich an einen im Vestibül anwesenden Lakaien, der sich gleich beim Eintritt der schönen Dame von seinem Sitz erhoben hatte.
»Wen hab ich dem Herrn General zu melden?«
»Frau von Carayon.«
Der Lakai verneigte sich und kam mit der Antwort zurück: »Der Herr General lasse bitten, in das Vorzimmer einzutreten.«
Frau von Carayon hatte nicht lange zu warten. General von Köckritz, von dem die Sage ging, daß er außer seiner leidenschaftlichen Liebe zu seinem Könige keine weitere Passion als eine Pfeife Tabak und einen Rubber Whist habe, trat ihr von seinem Arbeitszimmer her entgegen, entsann sich sofort der alten Zeit und bat sie mit verbindlichster Handbewegung, Platz zu nehmen. Sein ganzes Wesen hatte so sehr den Ausdruck des Gütigen und Vertrauenerweckenden, daß die Frage nach seiner Klugheit nur sehr wenig daneben bedeutete. Namentlich für solche, die wie Frau von Carayon mit einem Anliegen kamen. Und das sind bei Hofe die meisten. Er bestätigte durchaus die Lehre, daß eine
wohlwollende
Fürstenumgebung einer geistreichen immer weit vorzuziehen ist. Nur freilich sollen diese fürstlichen Privatdiener nicht auch Staatsdiener sein und nicht mitbestimmen und mitregieren wollen.
General von Köckritz hatte sich so gesetzt, daß ihn Frau von Carayon im Profil hatte. Sein Kopf steckte halb in einem überaus hohen und steifen Uniformkragen, aus dem nach vorn hin ein Jabot quoll, während nach hinten ein kleiner, sauber behandelter Zopf fiel. Dieser schien ein eigenes Leben zu führen und bewegte sich leicht und mit einer gewissen Koketterie hin und her, auch wenn an dem Manne selbst nicht die geringste Bewegung wahrzunehmen war.
Frau von Carayon, ohne den Ernst ihrer Lage zu vergessen, erheiterte sich doch offenbar an diesem eigentümlich neckischen Spiel, und erst einmal ins Heitre gekommen, erschien ihr das, was ihr oblag, um vieles leichter und bezwingbarer und befähigte sie, mit Freimut über all und jedes zu sprechen, auch über
das
, was man als den »delikaten Punkt« in ihrer oder ihrer Tochter Angelegenheit bezeichnen konnte.
Der General hatte nicht nur aufmerksam, sondern auch teilnahmevoll zugehört und sagte, als Frau von Carayon schwieg: »Ja, meine gnädigste Frau, das sind sehr fatale Sachen, Sachen, von denen Seine Majestät nicht zu hören liebt, weshalb ich im allgemeinen darüber zu schweigen pflege, wohlverstanden, solange nicht Abhilfe zu schaffen und überhaupt nichts zu bessern ist. Hier aber
ist
zu bessern, und ich würde meine Pflicht versäumen und Seiner Majestät einen schlechten Dienst erweisen, wenn ich ihm einen Fall wie den Ihrigen vorenthalten oder, da Sie selber gekommen sind, Ihre Sache vorzutragen, Sie, meine gnädigste Frau, durch künstlich erfundene Schwierigkeiten an solchem Vortrage behindern wollte. Denn solche Schwierigkeiten sind allemalen erfundene Schwierigkeiten in einem Lande wie das unsre, wo von alter Zeit her die Fürsten und Könige das Recht ihres Volkes wollen und nicht gesonnen sind, der Forderung eines solchen Rechtes bequem aus dem Wege zu gehen. Am allerwenigsten aber mein Allergnädigster König und Herr, der ein starkes Gefühl für das
Ebenmäßige
des Rechts und eben deshalb einen wahren Widerwillen und rechten Herzensabscheu gegen alle
die
jenigen hat, die sich, wie manche Herren Offiziers, insonderheit aber die sonst so braven und tapfren Offiziers von Dero Regiment Gensdarmes, aus einem schlechten Dünkel allerlei Narretei zu permittieren geneigt sind und es für angemessen und löblich oder doch zum mindesten für nicht unstatthaft halten, das Glück und den Ruf andrer ihrem Übermut und ihrer schlechten Moralité zu opfern.«
Frau von Carayons Augen füllten sich mit Tränen. »Que vous êtes bon, mon cher général.«
»Nicht ich, meine teure Frau. Aber mein Allergnädigster König und Herr,
der
ist gut. Und ich denke, Sie sollen den Beweis dieser seiner Herzensgüte bald in Händen halten, trotzdem wir heut einen schlimmen oder sagen wir lieber einen schwierigen Tag haben. Denn wie Sie vielleicht schon in Erfahrung gebracht haben, der König erwartet in wenig Stunden die
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