Schadensersatz
Sohn umzubringen?«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, Murray«, erwiderte ich und legte auf.
Im Wohnzimmer sah ich mir gemeinsam mit Lotty, Jill und Paul den Rest des Films Die Kanonen von Navarone an. Ich war nervös und gereizt. Lotty hatte keinen Scotch im Hause. Sie hatte überhaupt nichts außer Cognac. Ich ging in die Küche und goss mir einen ordentlichen Schluck ein. Lotty sah mich fragend an, machte aber keine Bemerkung.
Gegen Mitternacht, als der Film dem Ende zuging, läutete das Telefon. Lotty hob in ihrem Schlafzimmer ab und kam mit besorgtem Gesicht zurück. Sie gab mir heimlich ein Zeichen, ich solle ihr in die Küche folgen. »Ein Mann«, sagte sie in verhaltenem Ton. »Er fragte, ob du hier seist; als ich bejahte, legte er auf.«
»Oh, verflixt«, murmelte ich. »Nun, daran ist im Augenblick nichts zu ändern ... Meine Wohnung ist bis morgen Abend fertig, dann gehe ich wieder heim und du bist das Pulverfass in deinem trauten Heim los.«
Lotty schüttelte den Kopf und lächelte ihr schiefes Lächeln. »Keine Bange, Vic - ich rechne fest damit, dass du eines Tages in meinem Namen dem Amerikanischen Ärztebund eins auswischst!«
Lotty schickte Jill ohne viel Federlesens ins Bett. Paul holte seinen Schlafsack. Ich half ihm, den schweren Esstisch aus Walnussholz an die Wand zu schieben, und Lotty brachte ihm eines ihrer Kopfkissen, bevor sie ebenfalls schlafen ging.
Die Nacht war schwül. Das dickwandige Ziegelgebäude, in dem sich Lottys Wohnung befand, hielt zwar die schlimmste Hitze ab, und Frischluftventilatoren in der Küche und im Esszimmer sorgten für ausreichende Luftbewegung, sodass man schlafen konnte. Aber mir kam die Luft trotz allem stickig vor. Ich lag schwitzend, nur mit einem T-Shirt bekleidet, auf der Bettcouch, döste ein bisschen ein, wurde wieder wach, warf mich unruhig hin und her und döste erneut kurz ein. Schließlich setzte ich mich verärgert im Bett auf. Ich fieberte danach, etwas zu tun - nur, es gab nichts zu tun. Ich knipste das Licht an. Halb vier.
Ich zog meine Jeans an und ging auf Zehenspitzen hinaus in die Küche, um Kaffee zu kochen. Während das Wasser durch den weißen Porzellanfilter tröpfelte, suchte ich im Bücherbord im Wohnzimmer nach Lesestoff. Mitten in der Nacht erscheinen einem alle Bücher langweilig. Zum Schluss fiel meine Wahl auf
Das Wien des siebzehnten Jahrhunderts von Dorfman. Bei einer Tasse Kaffee blätterte ich die Seiten durch, las von der verheerenden Pest nach dem Dreißigjährigen Krieg und von der Straße, die jetzt
»Graben« heißt - was damit zu tun haben mochte, dass so viele Tote dort begraben lagen. Diese schreckliche Geschichte passte genau zu meiner miesen Stimmung.
Ich hörte es trotz des Summens der Ventilatoren. In Lottys Zimmer klingelte das Telefon. Den Anschluss neben Jills Bett im Gästezimmer hatten wir abgestellt. Ich sagte mir zwar, dass es sicher für Lotty war - eine Frau in den Wehen oder irgendein verletzter Teenager -, doch ich lauschte trotzdem sehr angespannt und war keineswegs überrascht, als Lotty aus ihrem Zimmer kam, eingehüllt in einen dünnen gestreiften Baumwoll-Morgenmantel.
»Für dich. Eine Ruth Yonkers.«
Ich zuckte die Achseln; der Name sagte mir nichts. »Tut mir Leid, dass du aufstehen musstest«, sagte ich und ging durch den kleinen Korridor in Lottys Zimmer. Auf einmal hatte ich das Gefühl, als hätte ich die ganze Nacht nur mit Spannung auf diesen unerwarteten Anruf einer Unbekannten gewartet. Der Apparat stand auf einem kleinen indonesischen Tischchen neben Lottys Bett. Ich setzte mich aufs Bett und meldete mich.
»Hier spricht Ruth Yonkers«, antwortete eine heisere Stimme. »Ich habe gestern Abend in der UFG-Versammlung mit dir gesprochen.«
»Ach ja«, sagte ich ruhig. »Ich kann mich an dich erinnern.« Es war die stämmige, pummelige junge Frau, die mir am Schluss eine Menge Fragen gestellt hatte.
»Nach der Versammlung habe ich mit Anita gesprochen. Ich war mir nicht ganz klar, wie ernst ich dich nehmen sollte, aber ich dachte, ich müsste es ihr erzählen.« Ich hielt den Atem an und schwieg. »Sie hat mich letzte Woche angerufen, hat mir berichtet, wie sie Peters - wie sie Peter gefunden hat. Sie nahm mir das Versprechen ab, niemandem ihren Aufenthaltsort zu verraten, ohne vorher mit ihr darüber zu reden.
Nicht einmal ihrem Vater oder der Polizei. Das alles war reichlich - seltsam.«
»Ich verstehe«, sagte ich.
»Tatsächlich?«, fragte sie zweifelnd.
»Du hast
Weitere Kostenlose Bücher