Schadensersatz
lange kein Ferkel. Es hatten sich auch ganze Stöße von Zeitungen angesammelt, und ich nahm mir einige Minuten Zeit, um sie draußen neben den Mülltonnen aufzuschichten. Der Sohn des Hausmeisters verdiente sich ein paar Pfennige mit dem Altpapier.
Ich zog Jeans und ein gelbes Baumwolltop an und besah mich mit kritischem Wohlwollen im Spiegel. Im Sommer sehe ich am besten aus. Von meiner italienischen Mutter habe ich den olivenfarbenen Teint geerbt, der so wundervoll bräunt. Ich grinste mir zu. Ich konnte sie förmlich hören: »Ja, Vic, du bist hübsch
- doch hübsch ist nicht genug. Hübsch sein kann jede. Aber wenn du im Leben zurechtkommen willst, brauchst du Grips. Du brauchst eine Beschäftigung, einen Beruf. Du musst arbeiten.« Sie hatte gehofft, ich würde Sängerin werden, und mit mir in nimmermüdem Eifer geübt; als Detektivin hätte ich ihr bestimmt nicht gefallen. Das galt auch für meinen Vater. Er war selbst Polizist gewesen, ein Pole mitten unter Iren.
Weiter als zum Sergeant hatte er es nie gebracht, was teils seinem Mangel an Ehrgeiz zuzuschreiben war, teils aber auch - dessen war ich mir sicher - seiner Herkunft. Von mir hatte er allerdings große Dinge erwartet ... Mein Lächeln im Spiegel wurde ein wenig schief, und ich wandte mich ruckartig ab.
Bevor ich mich in Richtung Süden auf den Weg machte, marschierte ich zu meiner Bank und zahlte die fünf Hunderter ein. Alles hübsch der Reihe nach. Der Kassierer nahm sie entgegen, ohne mit der Wimper zu zucken; schließlich konnte ich nicht erwarten, dass jeder davon so beeindruckt war wie ich.
Um halb elf bog ich mit meinem Chevy Monza in Höhe der Belmont Avenue in den Lake Shore Drive ein.
Der Himmel war bereits weiß vor Hitze, und die Wellen glänzten kupfern. Zu dieser Tageszeit waren nur Hausfrauen, Kinder und Detektive unterwegs; ich spurtete in dreiundzwanzig Minuten nach Hyde Park und hielt auf der mittleren Zufahrt.
Seit zehn Jahren hatte ich das Universitätsgelände nicht mehr betreten, doch es hatte sich kaum verändert, weniger jedenfalls als ich. Irgendwo hatte ich gelesen, dass das schmuddelige, ärmliche Erscheinungsbild des Studenten im Wandel begriffen war und allmählich von der klaren Frische der fünfziger Jahre verdrängt wurde. Dieser Wandel war ganz eindeutig an Chicago vorübergegangen. Junge Leute undefinierbaren Geschlechts schlenderten Händchen haltend oder in Gruppen vorbei, mit Punkfrisuren, ausgefransten Shorts und löcherigen Arbeitshemden - höchstwahrscheinlich der einzigen Verbindung zur Arbeitswelt, die sie samt und sonders vorzuweisen hatten. Annähernd ein Fünftel der Studentenschaft stammte aus Familien mit einem Jahreseinkommen von fünfzigtausend Dollar oder darüber, aber ich würde mich nicht darum reißen, dieses Fünftel nur nach der äußeren Erscheinung bestimmen zu müssen.
Aus der flimmernden Hitze trat ich in die kühlen Hallen aus Stein. Von einer Telefonzelle aus rief ich die Universitätsverwaltung an. »Könnten Sie mir vielleicht sagen, wo ich eine Ihrer Studentinnen, eine gewisse Miss Anita Hill, finden kann?« Vom anderen Ende kam - von einer alten und brüchigen Stimme - die Aufforderung zu warten. Papiergeraschel im Hintergrund. »Könnten Sie den Namen buchstabieren?«
Natürlich. Erneutes Geraschel. Die brüchige Stimme verkündete, dass es keine Studentin dieses Namens gebe. Hieß das, dass sie für das Sommersemester nicht eingeschrieben war? Es hieß, dass es keine Studentin dieses Namens gab. Ich fragte nach Peter Thayer und war etwas überrascht, als sie die Harper-Adresse vorlas. Wenn Anita nicht existierte, wieso dann der junge Mann?
»Tut mir leid, dass ich Ihnen so viel Mühe mache, aber ich bin seine Tante. Könnten Sie mir sagen, in welchen Vorlesungen er heute stecken mag? Er ist nicht zu Hause, und ich bin nur heute in dieser Gegend.« Es musste sich sehr liebevoll angehört haben, denn Miss Brüchig ließ sich dazu herbei, mich davon in Kenntnis zu setzen, dass Peter im laufenden Semester nicht eingeschrieben war, dass mir jedoch die Fachabteilung Politische Wissenschaften unter Umständen weiterhelfen könne. Ich dankte ihr verbindlich und empfahl mich.
Stirnrunzelnd betrachtete ich das Telefon und überlegte den nächsten Schritt. Wenn es keine Anita Hill gab, wie sollte ich sie dann finden? Und wenn es keine Anita Hill gab, weshalb erteilte mir jemand den Auftrag, sie zu finden? Und weshalb hatte mir dieser Jemand erklärt, beide seien Studenten dieser
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