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Schadensersatz

Schadensersatz

Titel: Schadensersatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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Aber heute Abend war ich einfach zu müde, um alles das, was ich im Verlauf des Tages erfahren hatte, auf die Reihe zu bekommen.
    »Ihre Abenteuer sind offenbar nicht ganz spurlos an Ihnen vorübergegangen«, bemerkte Ralph.
    Ich fühlte mich von einer Welle der Müdigkeit überschwemmt. »Ja, ich baue ab«, gab ich zu. »Ich glaube, ich muss ins Bett. Obwohl ich andererseits gar nicht scharf darauf bin, denn morgen Früh wird mir alles wehtun. Vielleicht werde ich wieder munter genug, um zu tanzen. Wenn man in Bewegung bleibt, ist's nicht so schlimm.«
    »Im Augenblick sehen Sie so aus, als würden Sie auf der Tanzfläche sofort zu Boden sinken, Vic, und mich würden sie dann wegen Misshandlung oder dergleichen verhaften. Wieso hilft eigentlich Bewegung?«
    »Wenn man den Kreislauf in Schwung hält, werden die Gelenke nicht so steif.«
    »Na ja, eventuell könnten wir ja beides miteinander verbinden - Schlaf und Bewegung, meine ich.« Das Lächeln in seinen Augen war liebevoll und ein wenig verlegen.
    Unvermittelt kam mir der Gedanke, dass es nach meinem abendlichen Intermezzo mit Earl und Tony sehr tröstlich wäre, jemanden im Bett zu haben. »Sicher«, meinte ich, ebenfalls lächelnd.
    Ralph bat den Ober um die Rechnung und bezahlte sofort: seine Hände flatterten ein wenig. Ich überlegte, ob ich mich wegen der Rechnung mit ihm streiten sollte, besonders, weil ich sie als Spesen verbuchen konnte, entschied aber, dass ich für heute bereits genug Kämpfe ausgefochten hatte.
    Wir warteten draußen, bis der Boy unseren Wagen brachte Ralph stand dicht bei mir, angespannt und ohne mich zu berühren. Ich zweifelte nicht daran, dass er diesen Abschluss von vorneherein eingeplant hatte; er war sich nur nicht sicher gewesen, ob es klappen würde. In der Dunkelheit lächelte ich ein wenig in mich hinein. Als der Wagen kam, setzte ich mich dicht neben ihn auf den Beifahrersitz. »Ich wohne in der Halsted Street, nördlich der Belmont Avenue«, erklärte ich, bevor ich an seiner Schulter einschlief.
    Er weckte mich an der Kreuzung Belmont/Avenue/Halsted Street und erkundigte sich nach meiner Hausnummer. Ich wohne in einer Gegend, die im Norden und Westen an einen vornehmeren Stadtteil grenzt, und im Allgemeinen herrscht hier kein Mangel an Parkplätzen. Er fand einen genau vor meiner Haustür, doch auf der anderen Straßenseite.
    Unter äußersten Mühen hievte ich mich aus dem Wagen. Die Nachtluft war angenehm warm, und Ralph stützte mich mit leicht zitternden Händen, als wir die Straße überquerten und die Eingangshalle meines Hauses betraten. Der Treppenaufgang schien sehr weit weg zu liegen, und ich hatte plötzlich die Vision, auf den Eingangsstufen zu sitzen und die Heimkehr meines Vaters von der Arbeit abzuwarten, damit er mich hinauftragen konnte. Wenn ich Ralph darum bitten würde, wäre sicher auch er dazu bereit. Allerdings würde sich dadurch das Abhängigkeitsverhältnis in unserer Beziehung zu stark verschieben. Ich biss also die Zähne zusammen und machte mich an den Aufstieg. Oben lag niemand auf der Lauer.
    Ich ging in die Küche und holte eine Flasche Martell aus dem Barfach. Dann angelte ich zwei Gläser herunter, venezianische Gläser, Rest der bescheidenen Aussteuer meiner Mutter. Sie hatten einen herrlich klaren Rotton und gedrehte Stiele. Es war schon einige Zeit her, dass ich jemanden zu Besuch in meiner Wohnung hatte, und unvermittelt fühlte ich mich schüchtern und verletzlich. Ich war im Laufe des heutigen Tages den Männern schon bis zum Extrem ausgeliefert gewesen und nicht bereit, im Bett etwas Ähnliches zu erleben.
    Als ich Flasche und Gläser ins Wohnzimmer brachte, saß Ralph auf der Couch und blätterte Fortune durch, ohne darin zu lesen. Er erhob sich, nahm mir die Gläser aus der Hand und bewunderte ihre Schönheit. Ich erklärte ihm, dass meine Mutter Italien kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verlassen hätte. Sie hatte eine jüdische Mutter und sollte vorsorglich an einen sicheren Ort gebracht werden. Die acht roten Gläser hatte sie in ihrem einzigen Koffer sorgsam in ihre Unterwäsche gewickelt. Bei jedem Festmahl nahmen sie den Ehrenplatz ein. Ich goss den Cognac in die Gläser.
    Ralph erzählte, dass seine Familie aus Irland stamme. »Deshalb schreibt man >Devereux< auch ohne a - mit a wären wir Franzosen.« Wir schwiegen ein Weilchen und nippten an unserem Cognac. Auch Ralph war ein wenig nervös, eine Tatsache, die mir half, mich zu entspannen. Plötzlich

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