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Schadensersatz

Schadensersatz

Titel: Schadensersatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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Leinenhose mit einer blassgelben Bluse und passender Jacke an. Ein perfekter Anzug für die Provinz. Ich entschloss mich, mir mit dem Gesicht keine Mühe zu geben. Mit Make-up würde es sicher im Sonnenlicht noch mehr auffallen als ohne.
    Ich bereitete mir ein Müsli zu, während Ralph seinen Marmeladentoast verzehrte. »So«, meinte ich dann, »Zeit zum Aufbruch in die Provinz.«
    Ralph begleitete mich hinunter, wobei er mir die Hand als Stütze reichen wollte. »Nein, danke«, wehrte ich ab. »Ich gewöhne mich lieber an den Alleingang.« Am Fuß der Treppe bekam er von mir einen Bonuspunkt, weil er den Abschied nicht unnötig hinauszögerte. Wir küssten uns flüchtig; dann winkte er mir aufmunternd zu und begab sich zu seinem Wagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich sah ihm nach, bis er aus meinem Blickfeld verschwunden war, dann stoppte ich ein Taxi.
    Der Fahrer setzte mich in der Sheffield Avenue ab, nördlich von der Addison Street, in einer überwiegend von Puerto-Ricanern bewohnten Gegend, in der es noch trostloser aussah als bei mir drüben. Ich läutete an Lotty Herschels Tür und war erleichtert, dass sie zu Hause war. »Wer ist da?«, quäkte sie durch die Sprechanlage. »Ich bin's, Vic«, antwortete ich und stieß nach dem Summen des Türöffners die Eingangstür auf.
    Lotty wohnte im zweiten Stock. Sie erwartete mich auf der Schwelle, als ich oben ankam. »Vic, meine Liebe, was ist denn mit dir passiert?«, begrüßte sie mich, die dichten schwarzen Augenbrauen erstaunt hochgezogen.
    Ich kannte Lotty seit Jahren. Sie war Ärztin, meiner Schätzung nach um die fünfzig, doch bei ihrem lebhaften und klugen Gesicht und ihrem durchtrainierten, energiegeladenen Körper konnte man das nicht so genau sagen. Irgendwann in ihren Wiener Jugendtagen hatte sie das Geheimnis fortwährender Bewegung entdeckt. Sie vertrat gewisse Ansichten heftig und leidenschaftlich und setzte sie beruflich in die Praxis um - oft zum Leidwesen ihrer Kollegen. Zu Zeiten, als eine Schwangerschaftsunterbrechung noch gesetzwidrig war und die meisten Ärzte nur hinter vorgehaltener Hand darüber redeten, hatte sie bereits zu den wenigen gezählt, die solche Eingriffe durchführten, und zwar in Zusammenarbeit mit einer inoffiziellen Anlaufstelle bei der Universität in Chicago, bei der ich mich ebenfalls engagiert hatte. Nun leitete sie eine Klinik hinter einer schäbigen Ladenfassade in derselben Straße. Sie hatte zunächst den Versuch unternommen, gebührenfrei zu behandeln, musste aber feststellen, dass die Leute in dieser Gegend kein Vertrauen in ihre ärztliche Kunst hatten, wenn sie nichts bezahlen mussten. Trotzdem war es noch eine der billigsten Kliniken in der Stadt, sodass ich mich häufig fragte, wie sie davon leben konnte.
    Sie zog die Tür hinter mir ins Schloss und führte mich ins Wohnzimmer. Lottys Naturell entsprechend, war es nur sparsam möbliert, jedoch mit leuchtenden Farbakzenten versehen - Gardinen in einem lebhaften Muster in Rot-Orange und einem feurig lodernden abstrakten Bild an der Wand. Lotty drückte mich auf die Bettcouch und brachte mir eine Tasse ihres starken Wiener Kaffees, von dem sie hauptsächlich lebte.
    »Und nun sag mir, Victoria, was hat dir so zugesetzt, dass du wie eine alte Frau die Treppen heraufhumpelst und dein Gesicht ganz grün und blau ist? Doch sicher kein Autounfall - das wäre nicht extravagant genug für dich. Hab' ich Recht?«
    »Du hast Recht wie immer, Lotty«, erwiderte ich und berichtete in Kurzfassung über meine Abenteuer.
    Bei der Geschichte mit Smeissen schürzte sie zwar die Lippen, verschwendete aber keine Zeit darauf, mit mir darüber zu diskutieren, ob ich zur Polizei gehen oder den Auftrag zurückgeben oder lieber einen Tag im Bett bleiben sollte. Nicht immer war sie meiner Meinung, respektierte allerdings meine Entscheidungen. Sie ging hinüber in ihr Schlafzimmer und kam mit einer großen schwarzen Tasche zurück. Sie untersuchte meine Gesichtsmuskeln und sah sich meine Augen mit dem Augenspiegel an. »Die Zeit wird das alles heilen«, erklärte sie und überprüfte noch Kniereflexe und Beinmuskeln. »Ich weiß, so was tut weh, und es wird noch eine ganze Weile wehtun. Aber du bist gesund; pass nur gut auf dich auf, es vergeht in Kürze von selbst.«
    »Nun, so etwas Ähnliches hatte ich vermutet«, meinte ich. »Aber ich kann nicht warten, bis meine Beinmuskeln wieder richtig funktionieren. Und im Augenblick tun sie mir so sche ußlich weh, dass ich mich

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