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Schadensersatz

Schadensersatz

Titel: Schadensersatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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der Fahrt zum Edens Expressway sprach Jill kein Wort. Sie blickte geradeaus, ohne auf die Umgebung zu achten. Als wir uns in den zähflüssigen Verkehr des in südlicher Richtung führenden Kennedy Expressway einfädelten, wandte sie jedoch den Kopf und schaute mich an. »Glauben Sie, es war ein Fehler, meine Mutter einfach so zurückzulassen?«
    Ich bremste, um einem Fünfzigtonner Gelegenheit zu geben, sich vor mir einzuordnen. »Sieh mal, Jill, ich hatte den Eindruck, als ob sie alle versuchten, dir Schuldgefühle einzureden. Nun fühlst du dich tatsächlich schuldig - also haben sie vielleicht ihr Ziel erreicht.«
    Sie hatte einige Minuten an meiner Erklärung zu kauen. »Ist das ein Skandal, wie mein Vater ermordet wurde?«
    »Höchstwahrscheinlich reden die Leute darüber, und das wird Jack und Susan sehr peinlich sein. Die Frage, auf die es ankommt, ist jedoch das Warum - und selbst die Antwort darauf braucht für dich kein Skandal zu sein.« Ich überholte einen Lieferwagen des Herald-Star. »Wichtig ist, dass man in seinem Inneren ein Gefühl für Recht und Unrecht entwickelt. Wenn dein Vater solchen Leuten, die andere mit Maschinenpistolen umbringen, missliebig geworden ist, dann möglicherweise deshalb, weil sie seinen Sinn für das Richtige zu beeinflussen versuchten. Das ist noch lange kein Skandal. Und selbst wenn er in irgendwelche zweifelhaften Geschichten verwickelt gewesen sein sollte, muss das auf dich keine negative Wirkung haben - es sei denn, du möchtest es.« Ich wechselte auf die andere Spur. »Ich glaube nicht daran, dass man von den Sünden der Väter heimgesucht wird, und ich halte nichts von Leuten, die zwanzig Jahre lang über Rachegedanken brüten.«
    Jill wandte mir ihr ratloses Gesicht zu. Ich fuhr fort: »So etwas kann vorkommen. Man muss nur intensiv genug wollen, dass etwas geschieht. Denk mal an deine Mutter - eine unglückliche Frau, stimmt's?« Jill nickte. »Wahrscheinlich ist sie unglücklich wegen Dingen, die vor dreißig Jahren passiert sind. Sie konnte wählen. Und du kannst auch wählen. Nehmen wir doch einmal an, dein Vater hat ein Verbrechen begangen, und wir finden das heraus. Das wäre sehr schlimm für dich, aber zum Skandal wird es erst, wenn du zulässt, dass es einer wird. Nur dann verdirbst du dir dein Leben. Viele Dinge geschehen völlig ohne dein Zutun oder dein Verschulden - wenn Vater und Bruder ermordet werden, beispielsweise. Doch wie du mit diesen Ereignissen fertig wirst, ist allein deine Sache. Du kannst verbittert werden - obwohl ich nicht glaube, dass du der Typ dafür bist oder du kannst dadurch stark werden«.
    Ich merkte plötzlich, dass ich an der Ausfahrt Addison Street vorbeigefahren war; ich ordnete mich in die Abbiegespur zur Belmont Avenue ein. »Entschuldige - meine Antwort ist in einen Sermon ausgeartet. Ich habe mich so ereifert, dass ich die richtige Ausfahrt verpasst habe. Kannst du was mit meinen Erklärungen anfangen?«
    Jill nickte und schwieg weiter, während ich die Pulask Road in nördlicher Richtung fuhr und dann östlich in die Addison Street einbog. »Es ist jetzt sehr einsam, seit Peter weg ist«, meinte sie schließlich. »Er war der Einzige in der Familie, der - der sich etwas aus mir gemacht hat.«
    »Ja, es wird hart werden, mein Schatz«, sagte ich in sanftem Ton und drückte ihre Hand.
    »Danke, dass Sie gekommen sind, Miss Warshawski«, flüsterte sie.
    Ich musste mich zu ihr hinüberbeugen, um sie zu verstehen. »Meine Freunde nennen mich Vic«, erwiderte ich.

11
    Die freundliche Tour
    Bevor ich zur Wohnung fuhr, machte ich an der Klinik Halt, um Lotty mitzuteilen, dass ich über ihre Gastfreundschaft verfügt hätte, und gleichzeitig zu fragen, ob sie glaube, dass Jill ein Medikament gegen den Schock bekommen solle. Ein kleines Grüppchen von Frauen, meist mit Kleinkindern, wartete in dem winzigen Vorzimmer. Jill sah sich aufmerksam um. Ich steckte den Kopf durch die Tür zum Sprechzimmer, wo mich Lottys Sprechstundenhilfe, eine junge Puerto-Ricanerin, erblickte. »Hallo, Vic«, sagte sie. »Lotty hat gerade eine Patientin. Brauchen Sie etwas?«
    »Hallo, Carol. Sagen Sie ihr bitte, dass ich meine kleine Freundin gern in ihrer Wohnung unterbringen möchte - die, die ich heute Früh besucht habe. Sie weiß schon, wen ich meine. Und fragen Sie, ob es ihr möglich ist, sie rasch mal anzuse hen. Das Mädchen ist gesund, hat aber in letzter Zeit viel durchgemacht.«
    Carol begab sich in das winzige Sprechzimmer und kam nach

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