Schadensersatz
wenigen Minuten zurück. »Gehen Sie mit ihr ins Büro.
Lotty sieht sie sich kurz an, wenn Mrs. Segi gegangen ist. Und natürlich kann sie bei ihr wohnen.«
Unter den missbilligenden Blicken derer, die schon länger warteten, brachte ich Jill in Lottys Büro. Während der Wartezeit erzählte ich ihr ein wenig über Lotty: im Krieg aus Österreich geflüchtet, hervorragende Medizinstudentin an der Londoner Universität, eigenwillige Ärztin, warmherzige Freundin. Dann kam Lotty in höchsteigener Person hereingewirbelt.
»So, das ist also Miss Thayer«, sagte sie munter. »Vic findet, du solltest dich etwas erholen? Das ist fein.« Sie hob Jills Kinn an, sah ihr in die Pupillen und machte mit ihr ein paar Tests; nebenbei gab sie ihre Kommentare ab.
»Was war denn los?«, fragte sie.
»Ihr Vater wurde erschossen«, erklärte ich.
Lotty schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf, bevor sie sich wieder Jill zuwandte. »So, Mund auf. Ja, ich weiß, dass du keine Halsschmerzen hast, aber es kostet nichts - ich bin Ärztin, und ich muss mir ein Bild machen. Gut. Dir fehlt nichts, du brauchst nur Ruhe und etwas zu essen. Vic, wenn ihr zu Hause seid, gib ihr einen Schluck Cognac. Redet nicht zu viel, sie soll sich erholen. Gehst du noch weg?«
»Ja, ich habe eine Menge zu erledigen.«
Sie schürzte die Lippen und dachte kurze Zeit nach. »Ich schicke Carol rüber, in etwa einer Stunde. Sie kann bei Jill bleiben, bis eine von uns beiden nach Hause kommt.«
In diesem Augenblick wurde mir klar, wie viel mir Lotty bedeutete. Mir war es nicht ganz geheuer gewesen, Jill allein zu lassen, weil ich nicht wusste, wie dicht Earl mir auf den Fersen war. Gleichgültig, ob Lotty das erkannt hatte oder einfach nur ihrem Instinkt folgte, der ihr sagte, dass ein verschicktes junges Mädchen nicht allein gelassen werden sollte - jedenfalls war ich diese Sorge los, ohne dass ich auch nur ein Wort darüber hatte verlieren müssen.
»Prima. Ich warte, bis sie da ist.«
Begleitet von weiteren missgünstigen Blicken verließen wir die Klinik, während Carol bereits die nächste Patientin hereinbat. »Sie ist sehr nett, nicht?« meinte Jill, als wir ins Auto stiegen.
»Lotty oder Carol?«
»Beide. Aber ich meinte Lotty. Es macht ihr doch wirklich nichts aus, wenn ich einfach so hereinschneie, oder?«
»Nein«, bestätigte ich. »Lotty hat nur ein einziges Ziel: den Menschen zu helfen. Bloß neigt sie nicht zu Gefühlsduselei.«
Vor der Wohnung bat ich Jill, im Wagen zu bleiben, bis ich Straße und Hauseingang überprüft hatte. Ich wollte zwar nicht, dass sie noch mehr Angst bekam, andererseits durfte ich aber nicht riskieren, dass jemand auf sie schoss. Die Luft war rein. Vielleicht war Earl tatsächlich der Meinung, mich eingeschüchtert zu haben. Oder er war eine Sorge los, nachdem die Polizei den armen Donald Mackenzie hinter Gitter gebracht hatte.
Oben in der Wohnung verordnete ich Jill ein heißes Bad. Ich wollte inzwischen das Frühstück vorbereiten; außerdem musste ich ihr noch ein paar Fragen stellen. Doch dann sollte sie schlafen. »Ich sehe es deinen Augen an, dass du einen Nachholbedarf hast.«
Sie gab es zögernd zu. In dem Zimmer, in dem ich geschlafen hatte, half ich ihr beim Auspacken ihres kleinen Koffers; ich konnte auf der Couch im Wohnzimmer übernachten. Mit einem von Lottys riesigen weißen Badetüchern schickte ich sie ins Bad.
Ich stellte fest, dass ich ziemlichen Hunger hatte; es war nach zehn, und ich hatte den Toast verschmäht, den Lotty mir hingehalten hatte. Ich durchstöberte den Kühlschrank: keine Säfte. Lotty trank niemals etwas aus der Dose. In einem Fach fand ich eine Menge Orangen. Ich presste so viele aus, dass ein kleiner Krug voll wurde, und nahm ein paar dicke Scheiben von Lottys leichtem Wiener Brot, die ich - leise vor mich hin pfeifend - röstete. Ich musste feststellen, dass ich mich ausgezeichnet fühlte, trotz Thayers Tod und trotz aller Ungereimtheiten im vorliegenden Fall. Irgendein Instinkt verriet mir, dass die Dinge jetzt allmählich in Fluss kamen.
Als Jill rosig und schläfrig aus dem Bad auftauchte, sorgte ich dafür, dass sie aß. Vorläufig hielt ich mich noch mit Fragen zurück und beantwortete ihr stattdessen ihre eigenen. Sie wollte wissen, ob es mir stets gelang, den Mörder zu erwischen.
»Es ist eigentlich das erste Mal, dass ich direkt mit einem Mord zu tun habe«, erwiderte ich. »Aber im Allgemeinen löse ich schon die Probleme, mit denen ich mich zu
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