Schadenzauber (German Edition)
die um sich greifende babylonische Sprachverwirrung. Nicht einmal seine Besorgungen konnte man noch ungehindert erledigen. Auf dem Domplatz zupfte ihn ein Fremder am Ärmel und wollte ihn nicht weitergehen lassen, bevor er eine Erklärung für die dort aufgebaute Fassade bekommen hatte.
„Um für den Dombau zu werben, hat der Bischof eine Holzfassade aufstellen lassen, damit sich das Volk vorstellen kann, wie Worms mit einem Dom aussehen würde. Auf diese Weise soll das Geld aufgebracht werden.“
„Von jener Fassade geht ein böses Omen aus“, behauptete der Fremde. „Ich bin nämlich Zauberer, müsst Ihr wissen.“
„Ach, tatsächlich?“
„Ich bin der Adiutor von Albertus Magnus, dem Hofmagus von König Childbert von Xanten.“
Otto entschied sich dagegen, seine eigene Profession zu erwähnen. Vor dem Gehilfen des großen Hofmagus Albertus Magnus machte er sich als Hinterhofzauberer nur lächerlich.
„Und ich sage Euch“, fuhr der Adiutor fort, „mein Meister hat das Unheil in der Kristallkugel gesehen. Vor dem Wormser Dom wird es zu einem folgenschweren Streit zwischen zwei Königinnen kommen, einem Streit, aus dem große Not entstehen wird.“
„Aber Worms hat doch gar keinen Dom.“
„Deshalb konnte der Meister es nicht verstehen und sandte mich nach Worms, um mir die Sache anzuschauen. Aber jetzt begreife ich. Er hat die Holzfassade gesehen.“
Otto kratzte sich am Kopf. „Und wie kann man das Unheil verhindern? Die Holzfassade abreißen? Den fehlenden Dom bauen?“
„Gar nicht“, belehrte ihn der Adiutor. „Die Zukunft steht unumstößlich fest. Wenn sie verhindert werden könnte, dann hätte sie der Meister nicht gesehen.“
„Was nützt es dann, die Zukunft zu kennen, wenn man sie sowieso nicht ändern kann?“
„Dem Mann, der nach ihr fragt, nützt seine Zukunft natürlich nichts. Aber wer seine Frage beantworten kann, ist ein mächtiger Mann.“
Der Adiutor hatte recht. Ein Zauberer, der die Zukunft vorhersagen konnte, genoss größtes Ansehen. Obwohl es die unsinnigste Art von Zauberei war, die man sich vorstellen konnte. Gleich nach Liebeszaubern.
Otto verabschiedete sich so unauffällig wie möglich vom Adiutor und hastete weiter.
In der magischen Bibliothek lief er sogleich Rolandus Montanus in die Arme; eine Begegnung, die er lieber vermieden hätte. Rolandus Montanus war der Hofmagus König Gundahars. Er verstand nicht viel von Zauberei. Aber in seiner Position brauchte er das auch nicht.
„Euch habe ich ja Ewigkeiten nicht mehr gesehen, werter Kommilitone“, begann Rolandus Montanus. „Wie ist es Euch denn ergangen bei den Sarazenen?“
Die Sarazenen. Otto hatte sein Glück in der Fremde gesucht und einem reichen Emir einen Brunnenzauber versprochen. Heraus gesprudelt war eine schwarze, klebrige und stinkende Flüssigkeit, die sich obendrein auch noch als brennbar erwiesen hatte. Der Lohn: Vierzig Stockhiebe. Und der gute Rat, sich nie wieder dort blicken zu lassen.
„Ach“, sagte Otto, „bei den Sarazenen sind die Straßen auch nicht mit Gold gepflastert.“ Otto wechselte das Thema. „Ich mache jetzt veneficium, Liebeszauber. Natürlich nur einvernehmliche.“
„Liebeszauber?“, fragte Rolandus Montanus mitleidig. „Man hört ja so einiges über Euch. Aber die Wahrheit scheint noch viel schlimmer zu sein.“
„Mir gefällt die Liebeszauberei, und man verdient nicht schlecht dabei.“
„Was nehmt Ihr denn für so einen Liebeszauber?“
„Genug.“
„Wenn Ihr das sagt...“ Rolandus Montanus schüttelte mitleidig den Kopf. „Wer einen Liebeszauber braucht, der ist ein mittelloser Verlierer. So kommt Ihr nie an solvente Klienten.“
„Das dürft Ihr ruhig mir überlassen.“
„Na dann...“ Rolandus Montanus zuckte mit den Achseln. „Dann wünsche ich Euch viel Erfolg mit Euren... Liebeszaubern.“
Als er Rolandus Montanus endlich los war, erkundigte er sich beim Bibliothekar nach dem Standort für die Literatur über Liebeszauber.
„Empore, oben links“, näselte der Bibliothekar. Otto dankte und drang zum ersten Mal in jenen Bereich der Bibliothek vor. Liebeszauber hatten ihn noch nie interessiert. Bis jetzt.
Otto griff sich das Standardwerk „De amore et veneficibus“, über die Liebe und die Liebeszauber, von Albertus Magnus heraus. Latein hatte mit Zauberei zwar rein gar nichts zu tun, aber wer als Zauberer reüssieren wollte, musste sich der Gelehrtensprache bedienen. Darum nannte sich Otto auch Ottonus
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