Schadrach im Feuerofen
nicht.«
Schadrach lächelt. »Bis 1.865 waren die meisten Schwarzen in Amerika Sklaven.«
»Und Ihr Besitzer war Jude? Ich kann mir nicht denken, daß ein Jude Sklavenhalter sein würde!«
Schadrach möchte ihr erklären, daß es in den Zeiten der Sklaverei auch Juden gab, die Plantagen besaßen und Sklaven hielten; aber die Diskussion verursacht Mischach Jakov offenbar Unbehagen, und mit einer Abruptheit, die allen weiteren Fragen der Jugendlichen einen Riegel vorschiebt, wechselt er das Thema und fragt seine Schwester, ob das Essen bald fertig sei.
»Fünfzehn Minuten«, sagt sie aus der Küche.
Als beachteten sie eine unausgesprochene Warnung, den Gast in Ruhe zu lassen, ziehen sich Joseph und Lea zu einer Couch auf der anderen Seite des Wohnzimmers zurück und beginnen dort eine gestelzte, gekünstelte Unterhaltung über Schulereignisse – wie es scheint, sollen alle Schulen am Tag von Mangus Staatsbegräbnis geschlossen bleiben, was den beiden sehr gefällt. Lea wiederholt eine Bemerkung, die der Chef des Jerusalemer Revolutionsrates über die Bedeutung des Staatstrauertages gemacht hat und wie es darauf ankomme, dem großen Toten die letzte Ehre zu erweisen, was Rebekka in der Küche mit höhnischem Geschrei und einem schroffen Kommentar zur geistigen Gesundheit des Betreffenden beantwortet, und im Nu entspinnt sich ein lautstarker und unverständlicher Streit über örtliche politische Fragen, an dem alle vier Jakovs in einem wütenden Wettstreit des gegenseitigen Überschreiens teilnehmen. Anfangs versucht Mischach seinem Gast etwas über die zur Diskussion stehenden Leute und den Hintergrund zu erklären, doch bald hat er sich so leidenschaftlich in die Auseinandersetzung verstrickt, daß er seine Erläuterungen vergißt. Schadrach sieht verblüfft und amüsiert zu, wie diese redelustigen Leute sich in den Haaren liegen, bis das Abendessen auf den Tisch gebracht wird und die Diskussion jäh zum Stillstand bringt. Er hat keine Ahnung, worum es bei dem Streit gegangen ist – zuletzt hatte es offenbar mit der Sitzverteilung im Stadtrat zu tun –, aber die Schaustellung von Energie und Engagement muntert ihn auf. In Ulan Bator hat er nie solche wütenden Meinungsverschiedenheiten erlebt; doch mag das nicht so sehr am Grad der allgemeinen Überwachung als vielmehr daran liegen, daß er. zu lange außerhalb des Familienverbands gelebt hat, um sich zu erinnern, was eine temperamentvolle Diskussion ist.
Nach dem Essen, das in friedlicher Atmosphäre verläuft, setzt Schadrach sich mit dem alten Jakov in eine Ecke, um eine Karte der Umgebung zu studieren, denn sie sind während der Mahlzeit übereingekommen, am nächsten Morgen mit einem großen Besichtigungsprogramm zu beginnen: die Altstadt mit ihren Basaren, Moscheen und Kirchen, das angebliche Grab Absaloms im nahen Kidrontal, das Grab Davids auf dem Berg Sion, das archäologische Museum, dann das Provinzialmuseum, wo die Schriftrollen vom Toten Meer verwahrt werden, und…
»Warten Sie, warten Sie«, sagt Schadrach. »Alles das an einem Tag?«
»Nun, dann machen wir es eben in zwei Tagen«, erwidert Mischach.
»Trotzdem. Können wir wirklich in so kurzer Zeit so viel besichtigen?«
»Warum nicht? Sie sehen kräftig und gesund aus. Ich denke, Sie werden mit einem alten Mann Schritt halten können.« Und er lacht behäbig.
22
In Istanbul, einige Tage später, hat er keinen Führer, und er durchwandert allein diese Stadt mit den vielen Gesichtern, verwirrt und niedergeschlagen von den Verzwicktheiten des öffentlichen Stadtverkehrs, die es mühsam machen, von einer Sehenswürdigkeit zur anderen zu gelangen. Sehnsüchtig hoffend, daß irgendein Mischach Jakov ihn hier entdecken werde, irgendein freundlicher Bhischma Das. Aber niemand nimmt sich seiner an. Der Stadtplan, den er im Hotel bekommt, ist nutzlos, denn es gibt nur wenige Straßenschilder, und wann immer er eine der Hauptverkehrsadern verläßt, verläuft er sich in einem Labyrinth namenloser Gassen und Höfe. Es gibt Taxis, doch seit der Viruskrieg und seine Folgen dem Fremdenverkehr ein Ende gemacht haben, scheinen alle Fahrer nur noch türkisch zu sprechen; sie können unmißverständliche Instruktionen wie zum Beispiel >Hagia Sophia< oder >Topkapi Serail< befolgen, aber als er die alten byzantinischen Stadtmauern sehen will, gelingt es ihm nicht, sich verständlich zu machen, und schließlich muß er zu einem Notbehelf Zuflucht nehmen und läßt sich zur Kariya-Moschee in den
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