Schadrach im Feuerofen
zu, die sich auf dem Sukhe Bator-Platz drängen. Schadrach liest, daß Ulan Bator in Altan Mangu umbenannt werden soll, was soviel wie >Goldener Mangu< bedeutet. Schadrach findet es übertrieben und eher komisch, doch mit der Zeit wird auch er sich an den neuen Namen gewöhnen; der alte, der >Roter Held< bedeutet, war dem Vorsitzenden ohnedies ein Dorn im Auge, weil er einen anderen als ihn bezeichnete.
Die Berichterstattung über das Staatsbegräbnis nimmt mehrere Zeitungsseiten in Anspruch. Kein Präsident der Vereinigten Staaten hätte jemals soviel Publizität erhalten. Zudem hat das Staatsbegräbnis bereits vergangene Woche stattgefunden; haben die Zeitungen seitdem jeden Tag so ausgesehen wie diese? Wahrscheinlich. Das Staatsbegräbnis ist das große Ereignis des Monats, größer als die Nachricht von Mangus Tod, der zu schnell geschah und dem die lineare Ausdehnung in der Zeit fehlte, die wahrhaft bedeutende Nachrichten auszeichnet. Was gibt es auch sonst schon? Daß Menschen an Organzersetzung sterben? Daß der Revolutionsrat verstärkte Anstrengungen zur Verbesserung und Produktionssteigerung der Ronkevic-Immunisierung ankündigt? Daß der Leibarzt des Vorsitzenden zur Zeit eine ziellose Reise um die Welt macht und dabei in einem Winkel seines wolligen Schädels auf Mittel und Wege sinnt, die Pläne des Vorsitzenden zur Enteignung seines Körpers zu durchkreuzen? Fotos vom Staatsbegräbnis sind viel interessanter als alles das. Soviel Aufhebens von einem Staatsbegräbnis in der Mongolei, und das in einer amerikanischen Zeitung! Schadrach denkt unwillkürlich an den letzten Präsidenten der Vereinigten Staaten zurück – einen Mann namens Williams, wie ihm scheint, oder vielleicht Richards –, und wie sein Begräbnis ausgesehen haben mag. Wahrscheinlich sieben Trauergäste und ein schlammiges Grab an einem regnerischen Tag. (Roberts? Edwards? Der Name ist ihm entfallen und nicht wiederzufinden.) In Schadrachs Kindheit gab es noch Präsidenten der Vereinigten Staaten, sogar einen oder zwei lebende Expräsidenten. Er versucht sich zu erinnern, wer zur Zeit seiner Geburt Präsident war. Ein Mann namens Ford, nicht wahr? Ja, Ford. Schadrach erinnert sich, daß die meisten Leute Ford gern hatten, weil er eine ehrliche Haut war. Vor ihm gab es einen namens Nixon, den die Leute nicht mochten, und einen namens Kennedy, der erschossen wurde, und es gab Leute wie Truman, Eisenhower, Johnson und Roosevelt. Die Führer der Nation, ihre großen Männer. Im letzten Jahr vor der Machtübernahme durch den Permanenten Revolutionsrat hatte es sieben Präsidenten gegeben, davon einige gleichzeitig. Nun, auch im alten Rom hatte es mächtige Kaiser gegeben, und große Männer wie Augustus oder Hadrian wären wahrscheinlich sehr erstaunt gewesen, hätten sie die Qualität und Herkunft von einigen ihrer Nachfolger gegen Ende des Kaiserreichs gekannt: die primitiven Haudegen, die Minderjährigen, die Barbarenhäuptlinge, die Wahnsinnigen und diejenigen, die nach sechs Tagen Regierungszeit von der angewiderten eigenen Palastwache erdrosselt worden waren.
San Francisco ist eine Stadt wie geschaffen zum Spazieren gehen. Die Größenordnung ist bescheiden und menschlich, so daß man ohne sonderliche Anstrengung von einem Stadtviertel zum anderen gehen kann, von den herrschaftlichen Villen der Pacific Heights zur sonnigen, an mediterrane Gestade erinnernden Marina, vom sogenannten Russenhügel zu den Hafenkais oder von der alten Mission zur Haight, begleitet von einer ständig wechselnden und immer angenehmen Abfolge urbaner Bilder. Weder Wind noch Nebel oder die Steilheit mancher Hügel ist in einer solch liebenswürdigen Umgebung ein ernsthaftes Hindernis. Und die Stadt ist lebendig. Es gibt noch immer eine Menge Läden, Restaurants und Cafehäuser. Von den zahlreichen Kirchen und Bethäusern, die im Hafenviertel von konkurrierenden Sekten unterhalten wurden, dient nur noch ein halbes Dutzend dem ursprünglichen Zweck; die übrigen sind geschlossen oder anderen Zwecken zugeführt worden. So gibt es jetzt ein großes Haus, wo man sich dem Traumtod hingeben kann, und auch die Transtemporalisten haben ein Etablissement, welches sich regen Zuspruchs erfreut. Die Menschen auf den Straßen verbreiten die Illusion von Gesundheit und guter Laune, und obgleich Schadrach weiß, daß es nur eine Illusion sein kann, läßt er sich gern von ihr täuschen. Das einzige, was ihm an San Francisco mißfällt, ist die Menge von Milizionären.
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