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Schadrach im Feuerofen

Schadrach im Feuerofen

Titel: Schadrach im Feuerofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Mann, der für den Augenblick lebt, der nie etwas ein zweites Mal überdenken muß, weil seine erste Überlegung immer richtig gewesen ist. Er ist nur ein barbarischer Stammeshäuptling, ein wilder Krieger und Nomadenführer aus der Gobi, dem jeder Aspekt meines gewohnten täglichen Lebens als verwirrende Magie erscheinen würde: doch wenn ich ihn mit mir nähme, würde er die Arbeitsweise des Kontrollraums in drei Stunden verstehen. Er ist ein Barbar, ja, aber nicht nur das, und obgleich ich ihm in mancher Hinsicht überlegen bin, obgleich mein Leben und meine Macht über sein Verstehen hinausgehen, ist er in all den Punkten, auf die es ankommt, mein Meister. Er flößt mir Ehrfurcht ein. Wie ich es erwartet hatte. Und in seiner Gegenwart komme ich einer Bereitwilligkeit nahe, all meine Autorität über andere Menschen aufzugeben, denn verglichen mit ihm bin ich nicht würdig. Ich bin nicht würdig.
    »Neunhundert Jahre«, sagt er schließlich, und der Schatten eines Lächelns geht über sein Gesicht. »Gut. Gut.« Er klatscht nach einem Diener und läßt mehr Airag bringen. Wir teilen uns in eine weitere Schale. Dann sagt er, er müsse aufbrechen. Es sei Zeit, zum Lager seines Sohnes Tschagatai zu reiten, wo die königliche Familie heute ein Turnier abhalte. Er lädt mich nicht ein, ihn zu begleiten. Er hat kein Interesse an mir, obwohl ich aus dem Reich einer fernen Zeit komme, obwohl ich ihm Kunde vom Ruhm künftiger mongolischer Herrschaft bringe. Ich bin ihm unwichtig. Ich habe ihm alles gesagt, was er wissen will; jetzt bin ich vergessen. Nur das Turnier ist jetzt von Bedeutung. Er verläßt das Zelt, schwingt sich auf sein Pferd und reitet fort, gefolgt von den Kriegern seines Gefolges, und nur der Diener und ich bleiben zurück.
     

24
    Zwei in lange Gewänder gehüllte Kultdiener bringen Roger Buckmaster aus den Tiefen des Zelts der Transtemporalisten in Karakorum. Auch Buckmaster trägt ein Gewand, aber nicht aus dem derben schwarzen Roßhaarstoff der Transtemporalisten. Er steckt in einer Art Kutte mit Kapuze, fein gewebt aus dicker brauner Wolle. Er geht barfuß in offenen Sandalen, und auf seiner Brust baumelt ein Kreuz. Beim Zurückstreifen der Kapuze enthüllt er eine Tonsur. Buckmaster ist eine Art Mönch geworden.
    Seine neue asketische Erscheinung ist nicht die einzige Veränderung. Früher war er ein aufbrausender, ungeduldiger Choleriker, in dem ständig eine wütende Energie zu zirkulieren schien, immer auf der Suche nach irgendeinem Ventil. Jetzt ist er von einer unheimlich anmutenden Ruhe und Insichgekehrtheit, wie ein Mann, der sich in eine unerreichbare Einsiedelei inneren Friedens zurückgezogen hat. Er ist blaß, sehr dünn, beinahe durchsichtig. Er bleibt stumm und bewegungslos wartend vor Schadrach stehen.
    »Ich hatte nicht erwartet, Sie lebend wiederzusehen«, sagt Schadrach nach einem Augenblick unbehaglichen Schweigens.
    »Das Leben birgt viele Überraschungen, Doktor Mordechai.« Buckmasters Stimme scheint sich mit seinem Äußeren verändert zu haben, ist tiefer und hohler geworden, gereinigt von aller Ungeduld und Gereiztheit.
    »Ich hatte gedacht, Sie lägen in der Organfarm.«
    »Der Herr beschloß, mich zu verschonen«, sagt Buckmaster fromm.
    Schadrach findet das frömmelnde Getue schwer erträglich. »Sie meinen, Ihre Freunde haben dafür gesorgt, daß Sie mit heiler Haut davongekommen sind«, erwidert er, aber sofort bedauert er seine Unverblümtheit. Es ist nicht klug, so zu jemandem zu sprechen, dessen Hilfe man braucht.
    Aber Buckmaster scheint nicht beleidigt.
    »Meine Freunde sind Seine Werkzeuge. Wie wir alle, Doktor Mordechai.«
    »Sind Sie die ganze Zeit hier gewesen?«
    »Ja. Seit dem Tag nach dem Verhör, dessen Zeuge Sie waren.«
    »Und die Miliz hat nicht nach Ihnen gesucht?«
    »Ich bin offiziell und aktenkundig tot, Doktor. Nach den amtlichen Unterlagen ist mein Körper zerlegt worden. Kranken Bürgern der Hauptstadt zugute gekommen. Die Miliz sucht nicht nach Toten. Für die Behörden bin ich nichts weiter als ein erledigter Fall. Vergessen. Wenn Sie hingingen und ihnen sagten, ich sei hier am Leben, so würde Ihnen keiner glauben.«
    »Und was haben Sie während dieser Zeit getan?« fragt Schadrach.
    »Die Transtemporalisten betrachten mich als einen heiligen Mann. Jeden Tag trinke ich aus ihrer Schale. Jeden Tag kehre ich in die Zeit zurück, da unser Herr auf Erden wandelte. Ich habe Seiner Leidensgeschichte viele Male beigewohnt, Doktor. Ich bin unter den

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