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Schadrach im Feuerofen

Schadrach im Feuerofen

Titel: Schadrach im Feuerofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Aposteln gewandelt. Ich habe den Saum von Marias Kleid berührt. Ich habe die Wundertaten gesehen: Kanaa, Kapernaum, die Erweckung des Lazarus. Ich habe den Verrat in Gethsemane gesehen, war Augenzeuge, als der Herr vor Pilatus geführt wurde. Ich habe alles gesehen, Doktor Mordechai, alles, wovon die Heilige Schrift berichtet. Es ist alles wahr. Es ist buchstäblich die Wahrheit. Meine Augen haben es gesehen.«
    Das unerwartete Feuer der Überzeugung in Buckmasters Augen, die fromme Begeisterung seiner Stimme machen Schadrach sprachlos. Er kann nicht umhin, zu glauben, daß dieser schäbige kleine Mann mit Jesus, Petrus und Johannes durch Galiläa gewandert ist, daß er die Predigten Johannes des Täufers und die Klagen der Magdalena gehört hat. Illusion, Halluzination, Selbsttäuschung, Schwindel: egal. Buckmaster ist verwandelt. Er ist verklärt.
    Schadrach fragt ihn mit absichtlicher Direktheit: »Können Sie noch mikroelektronische Geräte bauen?«
    Die Irrelevanz der Frage bringt Buckmaster aus dem Gleichgewicht. Er ist versunken in heiligmäßige Betrachtungen, eingehüllt in mystische Entrücktheit und transzendentale Freude, und so kommt es, daß er verblüfft nach Luft schnappt, als hätte er einen Rippenstoß bekommen. Er hüstelt, runzelt die Stirn und sagt verdutzt: »Ich denke, daß ich es könnte. Es ist mir nie in den Sinn gekommen…«
    »Ich habe Arbeit für Sie.«
    »Machen Sie sich nicht lächerlich, Doktor!«
    »Ich meine es ganz ernst. Ich bin zu Ihnen gekommen, weil es Arbeit gibt, die nur Sie richtig und gut machen können. Sie sind der einzige, dem ich sie anvertrauen kann.«
    »Die Welt hat mich ausgestoßen, Doktor. Ich habe ihr entsagt. Ich wohne hier. Die Angelegenheiten der Welt sind nicht länger die meinen.«
    »Sie waren einmal entrüstet über die Anmaßungen und Ungerechtigkeiten des Vorsitzenden.«
    »Ich bin jetzt jenseits von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Doktor Mordechai.«
    »Sagen Sie das nicht. Es klingt eindrucksvoll, Buckmaster, aber es ist gefährlicher Unsinn. Die Sünde des Hochmuts, nicht wahr? Sie wurden von Ihren Mitmenschen gerettet. Ihnen verdanken Sie Ihr Leben. Diese Mitmenschen haben viel für Sie riskiert. Sie haben ihnen gegenüber Verpflichtungen.«
    »Ich bete täglich für sie.«
    »Es gibt etwas Nützlicheres, was Sie tun können.«
    »Gebet ist das höchste Gut, das ich kenne«, sagt Buckmaster. »Ich stelle es in jedem Fall über die Mikroelektronik. Ich sehe nicht ein, wie irgendeine Arbeit auf diesem Gebiet meinen Mitmenschen helfen sollte.«
    »Die Arbeit, die ich für Sie habe, vermag das.«
    »Ich wüßte nicht, wie…«
    »Der Vorsitzende muß sich bald einer weiteren Operation unterziehen.«
    »Was ist mir der Vorsitzende? Er hat mich vergessen, ich habe ihn vergessen.«
    »Einer Operation des Gehirns«, fährt Schadrach fort. »In seinem Schädel sammelt sich Flüssigkeit an. Wenn sie nicht abgeleitet werden kann, wird sie ihn wahrscheinlich töten. Während des chirurgischen Eingriffs werden wir ein Drainagesystem mit einem Ventil installieren, durch welches die Flüssigkeit abgeleitet werden kann. Gleichzeitig wird mir ein weiteres telemetrisches Übertragungsgerät eingepflanzt. Ich möchte, daß Sie es für mich entwickeln, Buckmaster.«
    »Wozu soll es dienen?«
    »Es soll mir erlauben, diese Ventilfunktion zu steuern«, sagt Schadrach.
     
    Zwei Stunden später ist Schadrach in der großen Zimmermannswerkstatt am anderen Ende dieses Vergnügungsparks von Karakorum, umgeben von Stemmeisen und Schlegeln, Hobeln und Sägen, und versucht in das meditative Eingangsstadium einzutreten. Er hat nicht viel Glück damit. Hin und wieder spürt er einen Anflug, die Anfänge eines richtigen Maßes von Konzentration, doch gelingt es ihm nicht, diese Stimmung länger als einen Augenblick festzuhalten. Immer dann, wenn er sich beglückwünscht, daß er endlich den ersehnten Zustand erreicht habe, verliert er ihn wieder. Es ist Buckmasters Schuld. Buckmaster läßt sich nicht aus dem Vordergrund seines Bewußtseins verdrängen.
    Ginge es nach Buckmaster, so würde Schadrach jetzt überhaupt nicht in der Zimmermannswerkstatt stehen, sondern schlaff und im Drogenrausch im Zelt der Transtemporalisten liegen, während seine Seele durch die Jahrtausende zurückreiste, um an dem blutigen Ritual auf dem Kalvarienberg teilzunehmen. »Nehmen Sie den Trank mit mir«, bedrängte ihn Buckmaster. »Wir werden gemeinsam die Leidensgeschichte durchleben.« Aber

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