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Schadrach im Feuerofen

Schadrach im Feuerofen

Titel: Schadrach im Feuerofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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kann man nicht sagen.«
    »Wo ist er?«
    »In Karakorum«, antwortet Cifolia. »Wir haben ihn bei den Transtemporalisten versteckt.«
     
    2. Januar 2009
    Ich bestand darauf, und so ließ man mich von der transtemporalen Erfahrung kosten. Viel Gerede von Risiken, von Nebenwirkungen und von meiner Verantwortung und Unentbehrlichkeit für das Gemeinwohl. Ich ließ mich davon nicht beeindrucken. Es kommt nicht oft vor, daß ich auf etwas bestehen muß, aber dies war ein Kampf. Den ich natürlich gewann. Als ich Karakorum besuchte, war Mitternacht vorbei, und es schneite leicht. Das Zelt war von Besuchern geräumt worden, und man hatte Wachen postiert. Zuvor hatte Teixeira mich gründlich untersucht. Wegen der Drogen, die zur Erlangung der transtemporalen Erfahrung notwendig sind. Völlig gesund, lautete das Ergebnis: ich kann ihren stärksten Drogentrank vertragen. Also hinein ins Zelt. Ein düsterer Ort, übler Gestank. Er ist mir aus meiner Kindheit vertraut – verbrannter Kameldung und ungegerbte Ziegenfelle. Ein kleiner buckliger Mann in der Kleidung eines Lama kam auf mich zu, zeigte sich völlig unbeeindruckt von mir, keinerlei Ehrfurcht. Aber warum auch Ehrfurcht vor einem Lebenden, wenn man einen Trank schlucken und Caesar, den Buddha oder Dschingis Khan besuchen kann? Er mischt mir ein Gebräu, öle, verschiedene Pülverchen werden verrührt, und schließlich gibt er mir die Schale zum Trinken. Süß und klebrig, kein guter Geschmack. Er ergreift meine Hände, flüstert mir allerlei ein, und ich fühle, wie mich schwindelt, und auf einmal wird das Zelt zu einer Wolke und ist verschwunden, und ich finde mich in einem anderen Zelt wieder, geräumig und niedrig, mit weißen Gebetsfahnen und gestickten Wandbehängen, und ich stehe vor ihm. Er ist dick und nicht sehr groß, ein Mann vorgerückten Alters, mit einem langen Schnurrbart, kleinen Augen, einem kraftvollen Mund. Ein Schweißgestank geht von ihm aus, als habe er seit Jahren nicht gebadet, und zum ersten Mal in meinem Leben möchte ich vor einem anderen Menschen auf die Knie sinken, denn dies ist sicherlich Temudschin, dies ist der Großkhan, dies ist der Gründer, der Eroberer.
    Ich knie nicht nieder, allenfalls in mir selbst. Ich biete ihm meine Hand. Ich verneige mich.
    »Vater Dschingis«, sage ich. »Aus der Ferne von neunhundert Jahren komme ich, dir die Ehre zu erweisen.«
    Er betrachtet mich ohne sonderliches Interesse. Nach einer kleinen Weile reicht er mir eine Schale. »Nimm einen Schluck Airag, alter Mann.«
    Wir trinken gemeinsam, ich zuerst, dann der Großkhan. Er ist einfach gekleidet, keine scharlachroten Gewänder, kein Hermelinbesatz, keine Krone, nur die Lederrüstung eines Kriegers. Sein Scheitel ist geschoren, doch hinten fällt ihm das Haar bis auf die Schultern. Er könnte mich mit einem Schlag der linken Hand töten.
    »Was willst du?« fragt er.
    »Dich sehen.«
    »Du siehst mich. Was noch?«
    »Dir sagen, daß du für immer leben wirst.«
    »Ich werde wie jeder Mensch sterben, Alter.«
    »Dein Körper wird sterben, Vater Dschingis. Aber dein Name wird jedes Zeitalter überdauern.«
    Er denkt darüber nach. »Und mein Reich? Wie steht es mit ihm? Werden meine Söhne nach mir regieren?«
    »Deine Söhne werden über die halbe Welt herrschen.«
    »Die halbe Welt«, sagt Dschingis Khan leise. »Nur die halbe? Ist das die Wahrheit, alter Mann?«
    »Kathay wird ihnen gehören…«
    »Kathay gehört bereits mir.«
    »Ja, aber sie werden es ganz beherrschen, bis hinunter zu den heißen Dschungeln des Südens. Und sie werden die hohen Gebirge und Turkestan beherrschen, Afghanistan und Persien und das russische Land, alles bis zu den Toren Europas. Die halbe Welt, Vater Dschingis!«
    Der Großkhan grunzt.
    »Und ich sage dir noch dies: In neunhundert Jahren wird ein Khan namens Dschingis über alles herrschen, von Meer zu Meer, von Küste zu Küste. Alle Menschen dieser Erde werden seinem Wort folgen.«
    »Ein Khan von meinem Blut?«
    »Ein echter Tatar«, versichere ich ihm.
    Dschingis Khan versinkt in ein langes Stillschweigen. Es ist unmöglich, in seinen Augen zu lesen. Er ist kleiner, als ich ihn mir vorgestellt hatte, und sein Geruch ist schlimm, aber er ist ein Mann von solcher Kraft und Bestimmtheit, daß ich gedemütigt bin, denn ich hatte mich für seinesgleichen gehalten, und in einer Weise bin ich es, und doch ist er mehr, als ich jemals sein kann. Es ist nichts Berechnendes an ihm; er ist völlig wahrhaftig und unbedenklich, ein

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