Schadrach im Feuerofen
ist klein und füllig, eine gebürtige Italienerin, die trotz langjähriger Ehe mit Horthy allgemein Donna Labile genannt wird und die Abteilung für Bevölkerungsplanung und Demographie im Innenministerium leitet. Horthy bleibt von ihren Bemühungen jedoch weitgehend unbeeindruckt, und wie er sich einmal schwerfällig umwendet und Schadrach Mordechais ansichtig wird, begrüßt er den Arzt mit einer so übertriebenen Verbeugung, daß er um ein Haar vornüber fällt. Donna Labile umflattert ihn wie ein aufgeregtes Huhn. »Ah, Doktor Mordechai!« trompetet Horthy. »Unseres geliebten Vorsitzenden ergebener Äskulapius! Ich begrüße Sie!«
»… der Höhepunkt unseres unablässigen Kampfes gegen…« sagt Mangu aus dem grünlich schimmernden Bildschirm.
Horthy zeigt mit dem Daumen auf das Abbild des Nachfolgers. »Glauben Sie dieses Zeug, Mordechai?«
Schadrach hegt seine eigenen Zweifel an der Aufrichtigkeit der oft verkündeten Absicht des Vorsitzenden, die Ronkevic-Immunisierung der gesamten Bevölkerung zugänglich zu machen, aber er kennt die objektiven Schwierigkeiten, die einem solchen Vorhaben im Wege stehen, und so ist sein Mißtrauen weder voll ausgebildet, noch hält er dies für den geeigneten Ort, ihm Ausdruck zu verleihen. Er zuckt die Achseln und sagt mit höflicher Stimme: »Ich gehöre nicht zur politischen Führungsspitze, Doktor Horthy. Die einzigen Privilegien und Informationen, die mir zur Verfügung stehen, betreffen Themen wie die innere Sekretion des Vorsitzenden.«
Horthy lacht behäbig. »Innere Sekretion! Sie, das ist wirklich gut! Aber Sie haben doch eine Meinung, nicht wahr?«
»Meine Meinung ist die eines uninformierten Bürgers und damit wertlos.«
Die Belustigung verliert sich auf Horthys Zügen und wird von Geringschätzung verdrängt. »Welch ein Diplomat Sie sind!«
»Beachten Sie ihn nicht«, bitter Donna Labile. »Er weiß einfach nicht, wann er aufhören muß. Zuerst stopft er sich mit diesen mongolischen Gerichten voll, und dann verwirrt er seinen Verstand mit Drogen, und jetzt riskiert er noch seine ganze Karriere…«
»Niemand wird daran denken, auf die Waagschale zu legen, was er nach einer solchen Nacht sagt«, versucht Schadrach sie zu beschwichtigen.
»Eine faule Ausrede«, sagt Horthy undeutlich. »Nichts als faule Ausreden, leere Versprechungen…« Seine Hände zittern, Schweißperlen werden auf dem fleischigen roten Gesicht sichtbar. Anscheinend beginnt bereits die Reaktion auf den Drogenrausch einzusetzen. »Grausamer, finsterer Unfug…« und er verliert sich in unverständliches ungarisches Gemurmel, das schließlich in ein Schluchzen übergeht. Donna Labile, erleichtert, daß er endlich Ruhe gibt, stützt ihn und redet begütigend auf ihn ein. Zwei hochgewachsene Männer in den graublauen Uniformen der Volksmiliz kommen über den Bahnsteig. Schadrach wundert sich, sie hier anzutreffen, denn Karakorum ist Spielwiese und Vergnügungsort der privilegierten Funktionärsklasse, natürlich elektronisch überwacht, aber sonst frei vom ernüchternden Anblick wachsamer Polizeistreifen. Diese zwei sehen wie chinesische Zwillinge aus, mit steifem, kurzgeschnittenem Haar und runden, ausdruckslosen Gesichtern. Damit nicht genug, bewegen sie sich im Gleichschritt, und ihre Stiefeltritte hallen bedrohlich durch die Station. Bei Horthy und seiner Frau bleiben sie stehen, legen die Finger salutierend an die Schirmmützen, und einer von ihnen sagt etwas. Schadrach weiß nicht, ob sie nur behilflich sein wollen, oder ob sie Auftrag haben, Horthy zu verhaften. Donna Labile wedelt mit zwei Karnevalsmasken, erklärt anscheinend, daß sie von einem Maskenball kommen. Einer der Milizionäre läßt sich Horthys Maske geben, betrachtet sie und hält sie Horthy prüfend vors Gesicht. Inzwischen ist der Zug in die Halle eingelaufen und hält. Die Uniformierten schieben die Arme sanft unter die Achseln des dicken Ungarn und bugsieren ihn in den Zug, gefolgt von der aufgeregt gestikulierenden Donna Labile.
»… lang ersehnte Epoche der Gerechtigkeit und der vollen Entfaltung der schöpferischen Kraft des Menschen…«, dröhnt Mangus Stimme.
Die Überlebenden der nächtlichen Ausschweifungen in Karakorum steigen mit langsamen, schläfrigen Bewegungen in den wartenden Zug.
9
Ehe er sich in seine Räume zurückzieht, sucht Schadrach Mordechai den Vorsitzenden auf. Obgleich die Signalgeber ihm verraten, daß das Befinden des alten Mannes den Umständen entsprechend gut ist, fühlt
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