Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schadrach im Feuerofen

Schadrach im Feuerofen

Titel: Schadrach im Feuerofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
Vorsitzenden«, sagt er und wartet, und fast eine Minute lang geschieht nichts. Er wiederholt den Satz in dringenderem Ton, doch die Tür bleibt verschlossen. »Los, aufmachen!« schnauft er aufgeregt. »Der Vorsitzende liegt vielleicht im Sterben. Ich muß zu ihm!«
    Nichts geschieht, obwohl die elektronischen Kontrollvorrichtungen intakt zu sein scheinen. Schadrach begreift, daß das Sperrsystem auf Notstand umgeschaltet worden ist und den Personenverkehr zu den Räumen des Vorsitzenden noch genauer als üblich kontrolliert. Dies spricht für die Hypothese eines Attentatsversuchs. Schadrach brüllt, gestikuliert, schlägt mit den Fäusten gegen die Sperre, schneidet ihr sogar Grimassen; doch das Sicherheitssystem ist offenkundig mit anderen Angelegenheiten beschäftigt und läßt ihn nicht ein. Bis die Tür sich endlich öffnet, sind nach seiner Schätzung vier oder fünf Minuten verstrichen. Die vom Vorsitzenden eintreffenden Daten bleiben wenigstens konstant; sie zeigen an, daß er weiterhin beunruhigt und übermäßig erregt ist, sich aber vom ersten Schreck erholt hat.
    Zu seinem Verdruß wird Schadrach in der Diele noch einmal von Leibwächtern aufgehalten und kontrolliert, bevor er das Schlafzimmer des Vorsitzenden betreten darf. Wie er zur Tür hereinstürzt, sieht er Dschingis Khan II. Mao aufrecht im Bett sitzen, umringt von fünf oder sechs Dienern und einem Dutzend Persönlichkeiten aus Revolutionsrat und Beraterstab. Alle drängen in heller Aufregung durcheinander und verursachen eine allgemeine Unruhe, die der Genesung des Vorsitzenden gerade in dieser postoperativen Phase sehr abträglich ist. Unter den Anwesenden sieht Schadrach Gonchigdorge, Ionigylakis, Sicherheitschef Avogadro und sogar Bela Horthy, der nach seiner ausschweifenden Nacht in Karakorum schrecklich fahl und verkatert aussieht. Weitere Personen aus der Umgebung des Vorsitzenden und des Revolutionsrates treffen in nicht abreißender Folge ein. Viele sind offenbar wie Schadrach selbst aus dem Schlaf gerissen worden und nur teilweise bekleidet. Schadrach ist bestürzt. Er kann die klare aber schwache Stimme des alten Mannes durch den allgemeinen Lärm hören, aber das Bett ist so umlagert, daß er nicht zu seinem Patienten durchdringen kann.
    »Schrecklich, wirklich schrecklich«, sagt Ionigylakis und bewegt den Kopf wie ein verwundeter Bär bedächtig von einer Seite zur anderen.
    Schadrach wendet sich ihm zu. »Was ist passiert?«
    »Mangu«, sagt Ionigylakis. »Ermordet!«
    »Was? Wie?«
    »Aus dem Fenster. Oder vom Balkon.« Der schwerfällige Grieche spielt ihm mit ausholenden Armbewegungen eine Pantomime des Geschehens vor, wie er es sich vorstellt: das offene Fenster, die in der Nachtbrise wehenden Vorhänge, den hinausgestürzten, sich im Fallen langsam überschlagenden Körper, das abrupte und gräßliche Ende des Sturzes auf den Steinplatten des Platzes. Schadrach schaudert zusammen. »Wann war das?«
    »Vor zehn, fünfzehn Minuten. Horthy kam gerade über den Platz. Er sah den ganzen Vorgang.«
    »Wer verständigte den Vorsitzenden? Horthy?«
    Ionigylakis zuckt die Achseln. »Wie sollte ich das wissen?«
    »Man hätte damit warten sollen. Der Schock einer solchen Nachricht…«
    »Ich war gerade in mein Büro gekommen, als ich davon hörte. Die Leute rannten wie verrückt durch das Haus. Zuerst zu den Fenstern, dann alle hier herein.«
    »Was noch verrückter ist«, sagt Schadrach verdrießlich. »Was wollen sie hier? Bringen Lärm und Unruhe herein, regen den Vorsitzenden unnötig auf, erfüllen das Krankenzimmer mit ansteckenden Bakterien – hat denn niemand einen Funken Vernunft? Mit diesem Chaos gefährden wir nur sein Leben. Helfen Sie mir, das Zimmer zu räumen.«
    »Aber der Vorsitzende hat selbst nach diesen Leuten geschickt!«.
    »Spielt keine Rolle. Er braucht sie nicht alle. Ich bin verantwortlich für seine Gesundheit, und ich verlange, daß alle hinausgehen, ausgenommen vielleicht Avogadro, Gonchigdorge und vielleicht Eyuboglu.«
    »Aber…«
    »Keine Aber. Sie und alle anderen sollten an ihre Arbeitsplätze oder in ihre Wohnungen zurückkehren, sich, wenn nötig, fertig ankleiden und bereithalten, falls Sie gebraucht werden. Was, wenn dies der Anfang eines Putschversuchs wäre? Oder, schlimmer noch, einer weltweiten, konterrevolutionären Erhebung? Wer soll die Krise meistern, wenn alle hier drinnen kopflos durcheinanderlaufen? Kommen Sie, helfen Sie mir, ich möchte das Zimmer räumen. Schaffen Sie alle hinaus,

Weitere Kostenlose Bücher